Choreografin Ingri Fiksdal erforscht mit „Diorama“ in der Seestadt die geologische Zeit
„Moss grows fat on a rolling stone“, sang Don McLean einst in seinem legendären „American Pie“. Diese Liedzeile drängt sich einem bei dem aktuellen Projekt der Choreografin Ingri Fiksdal auf. Die Norwegerin, die gerade ihre Doktorarbeit über „Affective Choreographies“ abgeschlossen hat, lässt ihre Performerinnen und Performer in aller Langsamkeit wie Moos an Objekten in der Landschaft entlangkriechen, gewissermaßen aus ihnen herauswachsen. Sie sind dabei als silbrig-unförmige „Blobs“ kostümiert. Am künstlich angelegten Teich in der Seestadt eröffnet die Panoramaversion von „Diorama“ am Samstag die neue Saison des Brut Wien. Eine Stadtversion im öffentlichen Raum zeigte Fiksdal im Juni beim Festival Sommerszene in Salzburg, rund um den Brunnen vor dem Hauptbahnhof. Dort traf sie der Falter zum Gespräch.
Falter: Frau Fiksdal, was ist der große Unterschied zwischen der Panorama- und der Stadtversion Ihrer Performance „Diorama“?
Ingri Fiksdal: Die Stadtversion findet in der Regel an einem öffentlichen Ort mit großem Menschenaufkommen statt. Wir erreichen damit auch ein großes Publikum, das gar nicht die Absicht hatte, sich eine Aufführung anzusehen. Außerdem kommen die Leute ganz nah an die Blobs heran, können sie anfassen, fragen: „Ist da ein Mensch drin?“ Für die Panoramaversion kann man Karten erwerben, sitzt etwa 50 Meter vom Geschehen entfernt und überblickt eine Landschaft, in die sich die Performer organisch einfügen. Hier geht es eher darum, sich Zeit zu nehmen, Dinge zu sehen, die man im Alltag normalerweise verpasst: allmähliche Veränderungen der Temperatur oder Windrichtung, vorbeifliegende Vögel oder Flugzeuge oder wie die Wellen an der Küste aufkommen. Es hat etwas Meditatives.
Die Spielorte für „Diorama“ müssen immer am Wasser liegen. Wieso?
Fiksdal: Ursprünglich war „Diorama“ ein Auftragswerk, konzipiert für ein Küstenschwimmbecken in einer südenglischen Kleinstadt namens Brixham. Das hat die Art, wie sich die Performer im Stück bewegen, stark beeinflusst. Daher ist es sinnvoll, die Choreografie auch anderswo am Wasser stattfinden zu lassen. Die Komposition ist sehr minimalistisch, in einer Blackbox würde sie nicht funktionieren.
Die Choreografie scheint in vieler Hinsicht die Bewegungen in der Natur nachzuahmen.
Fiksdal: In der Konzeptionsphase haben wir viel über „Deep Time“ gesprochen, die geologische Zeit, in der sich Steine und Landschaften bewegen, ohne dass das für uns sichtbar wäre – außer bei Katastrophen wie Vulkanausbrüchen.
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