Das hat es zwei Jahrzehnte lang nicht gegeben: die Bekanntgabe einer neuen künstlerischen Leitung für das Theater der Jugend (TdJ). Thomas Birkmeir stand dem Haus seit 2002 vor. Im Jänner diesen Jahres gab der Deutsche bekannt, mit Ende der Saison 2025/26 abzutreten.
Nicht nur Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler, auch Kulturminister und Vizekanzler Andreas Babler (beide SPÖ) saß auf dem Podium in der TdJ-Spielstätte Renaissancetheater. Der Name der neuen Direktorin, Aslı Kışlal, kam allen schwer über die Lippen.
Kışlal erklärte dafür selbstironisch, sie schreibe „Renaissancetheater“ ständig falsch. Ihr Vorschlag, das Haus deshalb umzubenennen, zeugt wohl vor allem vom Humor der 1970 in Ankara geborenen Schauspielerin und Regisseurin. Christoph Brenner, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Trägervereins, schluckte dennoch heftig.
Die Szene bejubelt Kışlals Ernennung überschwänglich. Sie steht praktisch in jeder Hinsicht für das Gegenteil ihres Vorgängers. Am Wochenende vor der Bekanntgabe stand Kışlal bei den „Wiener Kongressen“ der Festwochen als Auskunftsperson zu Missbrauch in der Kunst am Rednerpult und wunderte sich über junge Schauspieler, die zu ihr als Regisseurin sagen: „Schrei mich ruhig an, ich bin das gewöhnt.“
Mitschuld an dieser Haltung trägt die Generation von Thomas Birkmeir, obwohl dieser nur sechs Jahre älter ist als Kışlal. Der Standard sammelte etliche Vorwürfe Mitarbeitender gegen den aktuellen Direktor und machte sie im Februar 2025 öffentlich. Verbale Gewalt, aber auch Schläge aufs Hinterteil oder grobes Packen am Arm waren darunter.
Birkmeir hat all dies zurückgewissen, eine gewisse Übergriffigkeit ist aber außerhalb von Proben zu erkennen. Wenn der Direktor bei Premieren die Vertreterinnen und Vertreter der Presse begrüßte, kam er ihnen unangenehm nahe. Immerhin: Kışlal bedankte sich bei Birkmeir für die amikale Stimmung, sie erwarte eine reibungslose Übergabe.
Bisher fielen die Strukturen des Theater der Jugend durch Intransparenz auf. Birkmeir hätte theoretisch auf Lebenszeit weitermachen können. Vordergründig gab der Erfolg ihm auch recht: Das starre Abosystem und eine Einteilung in die Alterskategorien 6+, 11+ und 13+ garantiert eine hohe Auslastung.
Einige Vorstandsmitglieder sind neu, darunter Brenner. Mit frischem Blick entschied man sich nach Birkmeirs Rücktritt für den Bestellungsmodus, der sich bei Stadt und Bund bewährt hat: offizielle Ausschreibung, Einsetzen einer Findungskommission aus Fachleuten, Vertrag für zunächst fünf Jahre.
Aslı Kışlal hat vielfältige Erfahrung mit künstlerischer Leitung, wenn auch stets innerhalb freier Strukturen. So führte sie den Kunst- und Kulturverein Daskunst, das Festival Wienwoche und die aktivistische Schauspielschule DiverCityLab. Als Regisseurin – auch für erwachsenes Publikum – ist sie in Österreich und Deutschland gefragt. Ihre bisher einzige Auszeichnung in der Kategorie Regie war der Deutsche Musical Theater Preis 2023. Musical will sie am TdJ dennoch nicht machen. „Ist nicht meins“, gestand sie bei der Pressekonferenz.
Anfang der 1990er Jahre stand die designierte Direktorin selbst hier auf der Bühne. „Zu meiner Zeit hatten wir in drei Monaten 118 Vorstellungen“, sagt sie dem Falter. „Das gibt es heute nicht mehr. Das heißt: Die Dinge können sich ändern.“
Das sollten sie auch. Programmierung und Spielweisen am Theater der Jugend wirken veraltet. Oft wird unreflektiert mit Klischees gearbeitet, ältere Kinder werden unterfordert, jüngere verschreckt. Birkmeir scheint nicht erkannt zu haben, dass ein Kind 2002 wenig mit einem Kind 2025 gemein hat.
Derzeit hat das Theater ein festes Ensemble aus vier männlichen Schauspielern. Hier wird Kışlal gewiss mehr Diversität schaffen. Als Stellvertreterin holt sie die 38-jährige Wiener Regisseurin Bérénice Hebenstreit. Beide werden regelmäßig am TdJ inszenieren. Den Fokus auf Literaturtheater behalten Kışlal und Hebenstreit bei, verstärkt lenken sie ihn auf Texte der heimischen Szene. Denn Formen wie Stückentwicklungen, Tanz und Performance decke etwa der Dschungel Wien gut ab.
Für das Renaissancetheater werden gezielt neue Stücke für jüngere Kinder gefördert, die gut auf die große Bühne passen. Die kleinere Spielstätte, das Theater im Zentrum, soll den Lebensrealitäten Jugendlicher nachspüren. Die dubiosen Strukturen lässt das neue Team vorerst unangetastet. Kışlal: „Dazu müssen wir sie erst einmal durchschauen.“