Hermann Rankes deutsche Übersetzung des „Gilgamesch-Epos“ erschien 1924. Hundert Jahre später gibt es eine Neuauflage.
„Das Folgende ist teilweise zerstört.“ Sätze wie dieser, kursiv gesetzt, prägen die Neuausgabe des „Gilgamesch-Epos“. Kein Wunder. In Wahrheit können wir staunen, dass diese ab 2400 v. Chr. im babylonischen Raum erzählten Geschichten überhaupt zu einem beträchtlichen Teil erhalten sind. Es handelt sich um einen der ältesten Texte überhaupt, davor gebührt schon einmal Respekt. Einzelne Episoden aus dem Leben von Gilgamesch und Engidu (oft auch als Enkidu bekannt) wurden in sumerischer Keilschrift fixiert, als einheitliches Epos schließlich um 1750 v. Chr. auf zwölf Tontafeln festgehalten. George Smith, ein englischer Assyriologe, entdeckte die Tafeln 1853 im Irak.
In seiner biblischen Wucht inspirierte das „Gilgamesch-Epos“ seither die nachfolgende Literatur: Thomas Mann verwob den Mythos in seine Tetralogie „Joseph und seine Brüder“, aber auch Sci-Fi-Autor Robert Silverberg wusste mehrere Romane aus dem Stoff zu quetschen. Vertonungen und Bildserien, natürlich auch Comics, Graphic Novels und Videospiele gibt es zuhauf.
Hundert Jahre, nachdem die deutsche Übersetzung durch Smiths Assyriologenkollegen Hermann Ranke erstmals in Hamburg erschienen war, bringt der Verlag Anaconda sie jetzt – in neuer Rechtschreibung, sonst im Wesentlichen unverändert – neu heraus. Wie das bei lückenhaften Texten, besonders ab einem gewissen Alter, halt so ist, handelt es sich bei der Lektüre eher um eine philologische Tätigkeit als um unmittelbaren Genuss. Den verbindenden Erklärtexten Rankes lässt sich dabei leichter folgen als dem eigentlichen Epos. Um dieses für angemessen spektakulär zu halten, empfiehlt es sich, stets die viertausend Jahre mitzudenken, die es alt ist. Dann leuchten die Seifenopern- und Superheldencomic-Qualitäten des „Gilgamesch-Epos“ ein!
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