Wien ist voll von Spionen. Der Audiowalk „The Invisible Tour“ spürt ihnen und ihrer Liebesgeschichte mit der Stadt nach
Beobachten und beobachtet werden, lautet die Devise beim Performance-Walk „The Invisible Tour“. Denn in den etwa 80 Minuten Gehweg vom Schwedenplatz in den Prater kommen die Teilnehmenden garantiert an ein paar Geheimagenten vorbei. Sie werden es nur nicht merken.
Wien ist eine Hochburg der internationalen Spionage, wie der Journalist Emil Bobi in seinem Buch „Die Schattenstadt“ aufdeckte. Für die Dramaturgin und Künstlerin Laura Andreß war die Lektüre Ausgangspunkt für ein Projekt mit Hollywood-Vibes.
Falter: Frau Andreß, was macht Wien so perfekt für Spionageaktivitäten?
Andreß: Österreich gilt als neutral, es war im Kalten Krieg das Tor zwischen Ost und West. Seit den 1950er-Jahren gibt es ein Gesetz, das Spionage nur verbietet, wenn sie dem Staat Österreich schadet. Bis heute wurde aber nicht geklärt, was „schadet“ heißt. Da sich Spionage meist nicht gegen Österreich richtet und das Land v.a. als Drehscheibe missbraucht wird, wird dagegen also wenig getan.
Gibt es ein Beispiel?
Andreß: 2018 flog der Fall Martin M. auf. Das war ein hochrangiger Offizier beim Bundesheer, der dem russischen Geheimdienst NATO-Geheimnisse ausgeplaudert hat. Er bekam eine Haftstrafe verhängt.
Österreich ist als Nicht-NATO-Mitglied doch gar nicht zu Schaden gekommen.
Andreß: Das Wissen über Schwachstellen kostete vermutlich NATO-Soldaten das Leben. Und es schadet klarerweise dem Ansehen Österreichs, wenn vertrauliche Informationen beim Feind landen. Dafür war das Urteil skandalös milde: drei Jahre Haft. Mit dem Krieg in der Ukraine kocht so etwas natürlich noch mehr auf. Es gibt Experten, die davon ausgehen, dass die Zahl der Spione bei uns dadurch zugenommen hat..
Wird also davon ausgegangen, dass hier ganz viele Schläfer unterwegs sind, die im Krieg aktiviert werden?
Andreß: Ja, wobei der Begriff irreführend ist: Schläfer schlafen nie, sie sind immer am Horchen. Das Problem ist längst bekannt. In Graz gibt es ein Institut für Spionageforschung, jährlich warnt ein Verfassungsschutzbericht. Aber das ist alles Augenauswischerei. Dass der Terroranschlag in Wien 2020 nicht verhindert wurde, hat auch mit Spionage zu tun. Bei unserer „Invisible Tour“ fragen wir nicht nur, wieso Wien Spionagehochburg wurde, sondern auch, wie es sein kann, dass sie es bleibt?
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