Umfangen von den Klängen der Musicbanda Franui taucht Anna Gschnitzer in die Sagenwelt Südtirols hinab. Cilli Drexel bringt ihr Gemeinschaftswerk "Fanes" in Bozen zur Uraufführung.
16. Februar 2023. Im Hickhack zwischen Deutsch- und Italienischsprachigen geht Südtirols dritte Sprachgruppe oft unter. Doch auch die Ladiner:innen haben ihre Mythen. Da ist die Urmutter, die ihr Kind bei den Murmeltieren versteckte, da sind friedliche Frauen und kriegerische, aber vergessliche Männer, Adler, Pfeile, Panzer. Wer in Südtirol aufgewachsen ist, kennt die Sagen aus dem Reich der Fanes.
Die Vereinigten Bühnen Bozen, die auf Deutsch Theater in der italienisch geprägten Kapitale einer sonst mehrheitlich deutschsprachigen Region zeigen, haben bei der hier aufgewachsene Dramatikerin Anna Gschnitzer einen Text zu den "Fanes" bestellt. Der enthält auch ladinische Arien, und deren irgendwie französisch aussehenden Wörter mit ihren ë und ü und ö spiegeln wunderbar das Hauptmotiv des Gefühls, sich zu erinnern, aber nicht zu wissen, woran.
Die Geheimwelt der Folklore
Live begleitet werden die fremdartigen Gesänge (Isa Wiss) von der Osttiroler Musicbanda Franui. Zwei Mitglieder des zehnköpfigen Orchesters, Andreas Schett und Markus Kraler, haben sie nicht nur eigens eingerichtet, sondern komplett selbst erfunden. Im Programmheft beschreibt Schett launig die Unmöglichkeit, auf das ohnehin spärliche Archivmaterial an notierter Volksmusik zuzugreifen.
Auch die Sagen stehen auf wackligen Füßen: 1913 schrieb Karl Felix Wolff auf, was er mit Ach und Krach ladinischen Gedächtnissen entlockt hatte. Für Gschnitzer ist diese Unzuverlässigkeit der Folklore essenziell, zwingt sie geradezu, eine Metaebene einzuziehen: Die Legende vom Murmeltiermädchen bündelt sie in einer Frau, die der numinosen Macht der Vergangenheit nicht entkommt und stets von einem Traum in den nächsten hineinzuerwachen scheint. Was, wenn "Sie" die besagte Urmutter ist, sich daran aber nicht erinnern kann?