Erst Volkstheater, nun Burgtheater und Festwochen – mit den neuen Leitungen bleibt in der Wiener Theaterszene kaum ein Stein auf dem anderen. Was bedeutet das für eine Stadt, die's eigentlich gerne gemütlich hat?
8. Februar 2023. So viel Veränderung ist Wien nicht gewohnt. Eine berühmte Kultur-, eine stolze Theaterstadt war sie immer schon, meist aber halt in ihrer behäbigsten Ausformung – ein letzter Hort der Verlässlichkeit, eine konservative Insel im progressiven Meer.
Das ist natürlich nur ein Gefühl und ein Klischee (Stichwort: "Wenn die Welt untergeht, komm nach Wien, da passiert alles 20 Jahre später"), aber irgendwie auch nicht: Luc Bondyleitete die Wiener Festwochen beispielsweise von 1997 bis 2015. Emmy Werner war Direktorin des Volkstheaters von 1988 bis 2005, bevor Michael Schottenberg für weitere zehn Jahre übernahm. Sogar am Burgtheater war Claus Peymann (1986–1999) mehr als zwei fünfjährige Amtszeiten da, Klaus Bachler dann genau zwei (1999–2009), und so wäre es auch weitergegangen, hätte nicht der Kulturminister im Rahmen des Finanzskandals Matthias Hartmann 2014 gefeuert und es die notfallsartig aus der Pension geholte Karin Bergmann 2019 eben dorthin wieder zurückgezogen.
Skepsis vor dem Neuen
Ungefähr seit dieser Zeit herrscht eine Rastlosigkeit in der Wiener Theaterlandschaft – die sich natürlich noch größer anfühlt, als sie ist, wegen dieser letzten drei Jahre, in denen zuerst überhaupt nichts war und es dann nicht mehr so war wie früher.
Ein Grund für die neue Unruhe liegt gewiss darin, dass den gemütlichen und ebenfalls langjährigen Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny 2018 die reformwillige Veronica Kaup-Hasler ablöste. Kaum im Amt, "nahm" die ehemalige Intendantin des steirischen herbst die Rücktrittsangebote der als glücklos wahrgenommenen Anna Badora(Volkstheater) und Tomas Zierhofer-Kin (Festwochen) "an" (mit anderen Worten: legte sie ihnen nahe) und besetzte die Posten neu, aber mit einem Blick auf internationales Renommee.
Das hat es in den Jahrzehnten zuvor in Wien nicht gegeben: eine Kulturpolitik, deren Entscheidungen eher am Urteil von Fachkreisen interessiert ist als am gefälligen Applaus des Publikums, mehr an Pressestimmen als an der Auslastung, mehr am Außen als am Innen. Das Ergebnis ist eine in ihrer Klarheit regelrecht öde Spaltung der heimischen Feuilletons: Konservative Medien wie Kurier, Kronen Zeitung und einige (größtenteils ältere) Mitglieder der Kulturredaktionen von Presse und Standard sehen im Mangel an psychologischem Illusionstheater die Ursache für leere Ränge im Volkstheater und darin wiederum einen eindeutigen Ablösegrund für den seit 2020 amtierenden Direktor Kay Voges.
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