Auftrag
Live-Kritik der Premiere „Iphigenia“ bei den Salzburger Festspielen im Gespräch mit Andrea Gerk
Auftraggeber
Deutschlandfunk Kultur
Projektinfo
Beim griechischen Tragödiendichter Euripides, im 4. Jahrhundert vor Christus, ist Iphigenie das perfekte Opfer. Böse getäuscht vom Vater Agamemnon wird sie nicht mit dem Helden Achilles verheiratet — und willigt am Ende in ihre eigene Opferung ein, damit günstige Winde wehen und der große Krieg gegen Troja beginnen kann. Die Göttin Artemis rettet Iphigenie von der Schlachtbank — dafür muss sie jedoch lange Jahre weit weg von Zuhause im Land der Taurer als Priesterin dienen. Von dort schickt Johann Wolfgang von Goethe sie 1779 als Frau in den Kampf um Humanität. Dass sie sich und ihren Bruder Orestes retten kann, verdankt sie bei Goethe nicht nur der Überzeugungskraft des deutschen Idealismus, sondern auch den Gefühlen, die sie bei Thoas, dem König der Taurer, weckt.
Durch die Zeiten hinweg bleibt Iphigenie eine Projektionsfläche: Eine Frau rettet den Vater — und das ganze griechische Volk, indem sie sich selbst opfert. Eine Frau, die weibliche Güte und Vergebung verkörpert, sich gegen den Krieg und für die geistige Stärke des Menschen ausspricht, die den ewigen Kreislauf der Rache (denn Schicksal ist keine Bestimmung!) unterbricht und als nachsichtige und vorausschauende Humanistin in die Geschichte eingeht.
Die Autorin Joanna Bednarczyk und die Regisseurin Ewelina Marciniak wollen mit ihrer modernen Interpretation der Iphigenia an aktuelle Diskurse anknüpfen. Sie nutzen die Folie von Euripides und Goethe, um eine eigene, eine zeitgemäße Geschichte zu erzählen. Wer könnte die junge Frau Iphigenia heute sein? Wer ist die Frau hinter dem Mythos, hinter der kollektiven Erzählung der Geopferten? Und wie befreit man sie aus dieser Erzählung?
Fazit – Kultur vom Tage
18. August 2022, ab 23:05 Uhr auf Deutschlandfunk Kultur