In meinem 2016 erschienenen „Buch der Schurken“ versammelte ich 100 der genialsten Bösewichte der Weltliteratur in einem Minilexikon. Einige blieben dabei auf der Strecke. Schändlicherweise. Hier begleiche ich nach und nach die schurkische Schuld.
Wann hat das aufgehört, dass Journalisten in Saus und Braus lebten, mit Ausschweifungen und völlig sinnlosen Gehältern? Und vor allem warum? Nein, bitte sparen Sie sich die Antwort auf diese Frage, sie ist recht schurkisch und nicht ganz ernst gemeint. Vor 100 Jahren hatte ein Turiner namens Dino Segre (vielleicht bekannt unter dem Pseudonym „Pittigrilli“) noch Geschichten parat, die das heutige Journaillenpräkariat vor Neid und Scham erblassen lassen. Selbst als Redakteur für verschiedene Zeitungen tätig, schickte er 1922 in seinem Roman „Kokain“ eine fiktionalisierte Version seiner selbst nahezu um die ganze Welt. Was er dort aufführt, verstieß nicht nur in den Augen der Faschisten gegen die guten Sitten, sondern auch in jenen der Kirche: Der Roman wurde mehrfach verboten.
Tito Arnaudi heißt der junge Student, der, weil seine Geliebte von ihren Eltern in die Besserungsanstalt gesteckt worden ist, in den Zug nach Paris steigt. Dort lässt er sich als Erstes mehrere Visitenkarten drucken, die ihn als „Professor Doktor“ ausweisen, und zieht – wegen der Adresse – in eine unbeheizte Kammer im Hotel Napoleon. Durch selbstbewusste Angeberei erschleicht er sich eine Anstellung bei einer Pariser Zeitung und schreckt in einer Ära vor dem Fact-Checking nicht davor zurück, sensationelle Geschichten einfach zu erfinden, so lange, bis der Chefredakteur sein Gehalt unter der Voraussetzung erhöht, dass er keinesfalls auch nur eine einzige Zeile schreibe. In einer Redaktion, wo auch die herrliche Figur des „Mannes, von dem keiner weiß, wer er ist“, ein und ausgeht, verkommt Journalismus zum Lebensstil.
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