Düsteres Antimärchen: Die Akram Khan Company denkt das „Dschungelbuch“ in Zeiten der Klimakrise neu
Wenn Akram Khan das „Dschungelbuch“ macht, leuchtet das sofort ein. Der Brite mit den bengalischen Wurzeln ist quasi das Gegenteil von Literaturnobelpreisträger Rudyard Kipling, dem Kolonialbriten in Indien, der sich die Geschichten vom Männlein im Walde Mowgli und den frechen, aber herzigen Tieren, 1894 ausdachte. Wer könnte diese Welt poetischer zum Ausdruck bringen als jener Mann, der einst in „Desh“ seine verschiedenen Heimaten aus der Sicht eines Kindes entzückend vertanzte? Und der obendrein selbst als Zehnjähriger in der Rolle des Mowgli seinen Durchbruch als Performer erlebte?
Aber die Rückeroberung des Stoffes kommt mit einem Preis. Denn Khan ist kein Bub mehr, sondern ein dreifacher Vater, dem schmerzlich bewusst ist, was für eine kaputte Erde er und seine Generation den Kindern hinterlässt. Folgerichtig ist „Jungle Book reimagined“, der neueste Streich der Akram Khan Company, eine Geschichte der Klimakatastrophe, in der Greta Thunberg aus dem Radio erklingt, indigene Familien ihre angestammten Plätze verlassen müssen und sogar die Tiere auf Wanderschaft gehen, weil ihre bisherige Welt unbewohnbar geworden ist. Mowgli, hier ein Mädchen, verliert auf der Flucht vor Unwettern und Überschwemmungen ihre Familie. Sie landet bei einem Wolfsrudel, wird von Affen entführt, gerät in den Bann einer Python. Manches erinnert ans Original, nur ist von unberührter Natur und bäriger Gemütlichkeit weit und breit keine Spur. Alle Tiere sind durch den toxischen Kontakt mit Menschen abgebrüht: Sie waren in Käfigen und Ketten, jetzt machen sie eine verwüstete Großstadt zum Dschungel.
Weiter in der Falter-Beilage Impulstanz 2022