Theater als offene Form, um das Unbegreifliche zu fassen: Am jüdischen Wiener Theater Nestroyhof Hamakom hat der Regisseur David Maayan Stadtführung, Tanz und Performance zu einem ausschweifenden Abend über die Vergangenheitsüberforderung gebündelt.
20. April 2022. Vor langer, langer Zeit (2005) gab es eine legendäre Produktion bei den Wiener Festwochen, "Der Familientisch". Performer:innen führten das Publikum vom Schauspielhaus zum Westbahnhof und brachten ihnen unterwegs ihre Migrationsbiografie nahe. Nachher aßen und tanzten alle gemeinsam an einem riesigen Tisch. Wer dabei war, spricht noch heute davon.
Jetzt hat der Erfinder des Abends, David Maayan, wieder in Wien gezaubert. Am jüdischen Theater Nestroyhof Hamakom entwickelte er eine Performance über den Holocaust aus heutiger Sicht. Der etwas konfuse Titel "The more it comes the more it goes" ist für ihn laut Programmheft-Interview wie Wasser in einem Fluss. "Familientisch" ist es keiner geworden, aber die offene, staunend naive, unperfekte Herangehensweise fasziniert immer noch.
Touri-Tour durch das jüdische Wien
Die fängt schon mal damit an, dass es keine Aufführung zu geben scheint. Man versammelt sich am späten Nachmittag in der Wiener Altstadt, wo sich ein Historiker namens Philipp Reichel-Neuwirth anschickt, den Anwesenden eine Führung durchs jüdische Wien zu geben. Und das tut er dann auch, so richtig tourimäßig: Er geht mit dem Schirm voraus, bittet, Halbkreise zu bilden, hält geduldig inne, bis alle Rollkoffer über die Pflastersteine gerattert sind, erzählt, dass hier mal eine Synagoge stand und da ein jüdisches Haus und was die Künstlerin mit diesem Mahnmal beabsichtigte. Und dass sein Großvater ein Nazi-Schreibtischtäter war.