Das Wiener Burgtheater führt Rainald Goetz’ 9/11-Stück „Reich des Todes“ im Akademietheater auf. Die Inszenierung handelt wie ein guter Horrorfilm vom Grauen, das nicht zu sehen ist.
Einen Sinn für Timing hat Rainald Goetz. Oder für Zeitlosigkeit. Seit „Jeff Koons“ 1999 schrieb der deutsche Arzt, Popliterat und Blog-Pionier keinen Text für die Bühne, dann kam „Reich des Todes“. Die Reflexion der Ereignisse um das Attentat auf das World Trade Center in New York erlebte am Deutschen Schauspielhaus Hamburg in der Inszenierung der Intendantin Karin Beier exakt am 11. September 2020 ihre Uraufführung. Anderthalb Jahre später musste die Wiener Burg die österreichische Erstaufführung im Akademietheaterwegen Corona-Fällen im Ensemble um zwei Monate verschieben. In der Zwischenzeit marschierte Putins Armee in der Ukraine ein.
Und so überkommt auch den noch so ermatteten Zuschauer nach drei Stunden die Gänsehaut, als Schauspieler Felix Kammerer in den nüchternen Satz „Krieg wird nicht abzuschaffen sein, Krieg sich wiederholen“ mit einem gellenden „Nie wieder Krieg“-Schrei unterbricht. Ebenso, als sein Kollege Christoph Luser die Hinrichtung des Saddam Hussein durch sein eigenes Volk schildert und dann mit Diese-Faust-riecht-nach-Friedhof-Stimme gen Publikum raunt: „Tot, tot, tot, das ist der Weg der Macht, die mißbraucht wird, das sage ich jedem Politiker, gedenke des Todes, denn er wird kommen, auch über dich“. Wie auch immer diese Botschaft Anfang Februar gemeint war – allen ist klar, wem sie jetzt gilt.
Beim Einlass schon sieht man das Ensemble und die tanzfreudigsten Mitglieder der Burg-Komparserie auf der Bühne versammelt. Zu flackerndem Neonlicht raven sie auf der Stelle, in weiß gekleidet teils mit verbundenen Augen. Mit Stückbeginn sacken sie alle zu Boden und werden von den Bühnentechnikern mit Erde überschüttet, während sich ein feuerrotes Rechteck von oben ins Blickfeld senkt und Martin Schwab die Bühne betritt. Mit archaischer Wucht schildert der große alte Sprechspieler den Fall der Zwillingstürme aus der Sicht eines Zeitzeugen.
Weiter in der „Welt“ vom 6. April 2022