Uraufführung in Wien: Lisa Wentz entwirft ein liebenswertes Paar der Nachkriegszeit
Autofiktionale ländliche Ahnenbiografien liegen im Trend. Monika Helfers Romanreihe, die 2019 mit „Die Bagage“ begann, verkaufte sich prächtig. An sie denkt man unweigerlich bei der Uraufführung von „Adern“ im Wiener Akademietheater, dem Stück, mit dem Lisa Wentz den Retzhofer Dramapreis 2021 gewann. Helfer stammt aus Vorarlberg, Wentz nur ein Bundesland weiter östlich aus Tirol. Bemerkenswert ist der deutlich jüngere Jahrgang 1995 der ausgebildeten Schauspielerin Wentz, den man ihrem Stück nicht anmerkt. Die Geschichte ist von der ihrer Urgroßmutter inspiriert.
„Adern“ begleitet über zwei Jahrzehnte ein ungewöhnliches Paar: 1953 sucht der verwitwete Tiroler Bergarbeiter Rudolf per Annonce eine neue Frau für sich und seine fünf Kinder. Er ist ein vergleichsweise moderner Mann: Dass die Leute reden, wenn er den Kinderwagen schiebt, stört ihn nicht. Aber trotzdem. Aloisia wiederum hat sich von einem Besatzungssoldaten schwängern lassen (Tirol gehörte zwischen Weltkrieg und Österreichs Staatsvertrag zur französischen Zone) und ist froh, wenn ihre Tochter eine Familie bekommt. Dafür ist sie gegen den Rat ihrer Schwester bereit, „in die Provinz“ zu ziehen.
Schon bei der ersten Begegnung spielen Sarah Viktoria Frick und Markus Hering alle kleinen Peinlichkeiten zwischen den kurz angebundenen Zeilen so liebenswert aus, dass man dem Paar eine glückliche Zukunft wünscht: als Rudi auch in der Hochzeitsnacht noch lieber auf der Küchenbank schläft und Loisl allein das Bett und somit auch die Initiative für den Ehevollzug überlässt; als er ihr einen Schnaps, in weiterer Folge ein Radio oder einen Fernseher mitbringt und sie hastig nach dem richtigen Ausdruck von Freude sucht; oder als er Jahre später sein Enkelkind nicht ziehen lassen will und sie sich durch Blickkontakt mit dessen Mutter, Rudis Tochter, gegen ihn verschwört, weil’s halt für alle das Beste ist.
Weiter in der Welt vom 15. März 2022