Worüber man nicht reden kann, darüber soll man – singen? Aus Alja Rachmanowas Wien-Roman über die Broterwerbszwänge in einem Milchgeschäft einen Liederabend zu machen, ist nicht die einzige überraschende Idee der Regisseurin Sara Ostertag. In ihrer Inszenierung pressen sich auch Männer den letzten Tropfen aus der Brust.
7. Dezember 2022. Dieser russische Wien-Roman ist ein Kuriosum: "Milchfrau in Ottakring" von Alja Rachmanowa (1898–1991) basiert auf den privaten Alltagsnotizen der Autorin. Sein großer Erfolg befreite ihre Familie aus der im Buch beschriebenen Armut.
Mit ihrem österreichischen Ehemann und dem gemeinsamen Sohn versuchte Rachmanowa, aus Russland ausgewiesen, in Wien Fuß zu fassen. Otmar Wagner (so heißt der Gatte im Buch) suchte eine akademische Stelle, während seine nicht minder gebildete Frau ein Milchgeschäft, also einen Lebensmittelladen führte. Rachmanowa schildert ihr Heimweh, ihre schrullige Wiener Kundschaft und ihre herzerwärmende Liebe zu Mann und Sohn.
Wie man sich Gauner zur Brust nimmt
Die Milch, die sie verkaufte, kam von Lieferanten, nicht aus ihrer Brust. In ihrer Bühnenfassung "Die Milchfrau" jedoch zieht die Gruppe makemake produktionen diese zusätzliche Ebene ein. Seit Wochen läuft die Werbekampagne mit stilisierten Fotos aller (auch der männlichen) Beteiligten, wie sie sich mit ekstatischer oder gequälter Miene einen Tropfen Milch aus den Nippeln pressen.
Auch auf der Bühne im Wiener Kosmos Theater sieht es dann mal so aus, als befülle Michèle Rohrbach in der Titelrolle die Kannen aus ihren Körperöffnungen heraus. Andere Male nimmt sich Rohrbachs Frau Wagner, eine Art Urmutter, im Dialog nicht nur ihren unaufhörlich Fragen stellenden Sohn Jurka (Martin Hemmer) an den Busen, sondern auch die schlitzohrigen Gauner, die ihr Geschäft frequentieren (Barča Baxant, Felix Rank).