Wenn Schüler im Fach kreatives Schreiben das Manifest für ihren Amoklauf verfassen und dieses dann auch noch singen: ist man als Zuschauer:in im Genre des weirden Musicals gelandet. Autor und Regisseur Yosi Wanunu von der freien Gruppe toxic dreams erprobt am Wiener WUK eine düster gestimmte Variante – ob er damit ein zukunftsfähiges Subgenre begründet?
Wien, 11. Januar 2022. Das Genre des weirden Musicals hat Konjunktur. In Léos Carax’ "Annette" sind die Gesangsausbrüche hauptsächlich verstörend, aber schon "Dancer in the Dark" von Lars von Trier war nicht gerade Hochglanz. Im Jahr ihres 25-jährigen Bestehens hat sich nun toxic dreams, eine von Wiens geistreichsten freien Sprechtheatergruppen, an die so reizvolle wie geschmähte Form herangetraut. "The Dead Class" ist eine musikalische Unterrichtsstunde für kreatives Schreiben. Die fünf Schüler sollen knackige Manifeste für die Nachwelt verfassen. Dass sie Schulamokläufe begehen werden, erachtet der Lehrer (wie sie selbst) als unvermeidlich. „This is the class of the students who want to kill their class?“, begrüßt er sie.
Tragische Töne statt schwarzhumoriger Satire
Denkbar originelle Voraussetzungen für eine schwarzhumorige Satire. Doch überraschend rasch sticht die Schwärze den Humor aus. Autor und Regisseur Yosi Wanunu ließ sich von Schriftstücken mehrerer realer Amokläufer inspirieren und zeigt auf, wie larmoyant, einfallslos und einander ähnlich diese waren. Auch die Kompositionen von Martin Siewert, die dieser im Saal des Wiener WUK mit einer Live-Band aus dem Schatten einspielt, schlagen nach einem fetzigen Einstieg meist schmerzverzerrte, sehnsüchtig tragische Töne bis hin ins Einschläfernde an.
Zudem ist das Setting, auch wenn bisweilen Diskolicht über Bänke und Tafel flackert, nun einmal eine Schulklasse. Drei Lektionen hält der Lehrer: Die Schüler sollen sich überlegen, 1. wer sie sind, 2. welche Botschaft sie den Medien vermitteln können und 3. was sie menschlich macht. Die Hausaufgaben werden, mal einzeln, mal im Chor, singend abgeliefert. Und doch bleibt Theorie eben Theorie.