In Arthur Schnitzlers „Professor Bernhardi“ verweigert ein jüdischer Wiener Arzt einem Priester den Besuch eines sterbenden Mädchens. Der britische Theaterhoffnungsträger Robert Icke hat es jetzt provokativ ins Heute gebracht. Und er besetzte es farbenblind.
In einer idealen Welt wäre diese Kritik sehr kurz: Sauber gebautes Stück, heutige Figuren mit nachvollziehbaren Konflikten, minimalistisch abstrahierte Bühne, ordentlich gespielt. Doch indem der 35-jährige Autor/Regisseur Robert Icke seine Erfolgsproduktion „The Doctor“ aus dem Londoner Almeida Theatre an der Wiener Burg reproduzierte – in Christina Schlögls insgesamt etwas mutlosen deutschen Übersetzung –, sorgt er für Gesprächsbedarf. Er hat nämlich aus der aalglatten angloamerikanischen Bühnenwirklichkeit in den deutschen Regietheaterkosmos die eine Sache mitgebracht, die dort schon ganz normal, hier aber noch radikal, riskant und irgendwie seltsam ist: „farbenblindes“ Besetzen, also nicht nach optischen Kriterien.
Als besonderes Wagnis mag das auch deshalb gelten, weil sich Icke, einer der vielen jungen Männer, die England als Retter des Theaters feiert, für seine Überschreibung eine heilige Kuh des bürgerlichen Wiener Theaterpublikums vornahm: Arthur Schnitzler. In dessen Fünfakter „Professor Bernhardi“ bekommt der titelgebende jüdische Arzt die Folgen seiner Entscheidung zu spüren, einem Priester den Zutritt zum Zimmer eines sterbenden Mädchens zu verweigern. Die Medien spielen die Sache hoch, Bernhardi verliert im Zuge zahlreicher, hitziger und ausufernder Debatten Stellung und Doktorgrad. Shitstorms gab es also schon in der Belle Époque um 1900. Und jetzt stelle man sich das Ganze mit Internet vor.
Aus Professor Bernhardi wurde „Die Ärztin“, Professor Ruth Wolff, an der Burg gespielt von Sophie von Kessel. Ihre Ausgangssituation entspricht jener im Original, mit der in identitätspolitisch geprägten Zeiten heiklen Verschärfung, dass der Pater, mit dem Wolff aneinandergeriet, schwarz ist. Sie kämpft vehement dagegen an, dass das eine Rolle spielen könnte, denn sie hält nichts von Etiketten – ihre privaten Bezugspersonen sind nonbinär und trans, auch wenn die deutsche Übersetzung daran scheitert, das klar zu vermitteln –, und schon sind wir mitten in den schönsten und haarsträubendsten Diskussionen unserer Gegenwart. Nur entnimmt man die Grundlage dafür ausschließlich den Dialogen. Den Pater gibt nämlich der durchaus weiße Burgschauspieler Philipp Hauß.