2009 mischte das Nature Theater of Oklahoma das Burgtheater auf. Zurück in der Stadt sprechen Kelly Copper und Pavol Liska über Opern, Masken, das New York von heute und ihr Stück bei den Wiener Festwochen
Oper und Theater funktionieren nach verschiedenen Regeln: Hier steht die Musik im Vordergrund, da der Text, hier fantastische Zauberwelten, da Realismus und Diskurs. Das Publikum wählt meist eines der beiden Genres, für Kelly Copper und Pavol Liska liegt der Reiz gerade im Gegensatz: Als Nature Theater of Oklahoma hinterfragt das Paar aus New York seit 25 Jahren verschiedene Formen der darstellenden Kunst, nun erstmals: die Oper.
Bei den Wiener Festwochen hat „Burt Turrido. An Opera“ am 26. August Premiere. Der dreieinhalbstündige Gesangsabend geht von Richard Wagners „Fliegendem Holländer“ aus und hat dennoch wenig mit der diesjährigen Inszenierung in Bayreuth zu tun.
Falter: Herr Liska, Frau Copper, warum hassen Menschen, die Opern hassen, Opern?
Pavol Liska: Weil sie nichts mit dem echten Leben zu tun hat. Niemand fängt plötzlich zu singen an. Seltsamerweise wird das bei anderen Kunstformen nicht bemängelt. Man folgt ja normal auch nicht der Struktur Anfang – Mitte – Ende, man trägt keine Kostüme, lebt in keinem Bühnenbild. Aber seit Tonfilm und Fernsehen ist angebliche Lebensnähe plötzlich die vorherrschende Art, Ideen auszudrücken. Die meisten Leute lesen nicht und gehen auch nicht ins Theater. Ihre ästhetischen Eindrücke erhalten sie aus Film und Fernsehen.
Aber es gibt ja viele Menschen, die Theater mögen, obwohl es nicht realistisch ist, und trotzdem nichts mit der Oper anfangen können.
Kelly Copper: Das ist eine Frage der Gesellschaftsschicht. In Amerika zumindest sind Oper und Ballett etwas für die Schickeria, und gegen die gibt es grobe Vorurteile.
Liska: Ich glaube, es liegt eher daran, dass Musik Ernsthaftigkeit rausnimmt.
Copper: Wieso? Oper ist doch erst recht etwas für ernsthafte Leute, anders als Musical.
Liska: Ja, aber man geht nicht hin, um einen Inhalt aufzunehmen. Musik ist eine emotionale Erfahrung, sie spricht nicht das Hirn an.
Copper: Dazu muss ich sagen: Wir gehen nie in die Oper, also wissen wir gar nicht, warum Leute hingehen.
Liska: Dafür haben wir die Anleitungen genau studiert, die es im 19. Jahrhundert für Libretti gab. „Einfach bleiben, nicht zu viele Worte verwenden“, steht da.
Ist „Burt Turrido“ eine Oper nach Rezept?
Liska: In vieler Hinsicht ja. Am originellsten ist man, wenn man beschlossen hat, nicht originell zu sein. In unseren Anfängen wollten wir, wie alle, um jeden Preis „this new weird thing“ sein. Neu fühlt es sich aber erst an, seitdem wir uns mit bestehenden Genres und ihren Regeln beschäftigen. Wenn man sich die Regeln eines Genres befolgt, wird es zeitlos, eine Formel, ein Behälter, in den man nach Belieben alles hineingeben kann.
Warum interessieren Sie diese starren Formeln?
Liska: Weil wir immer die Erwartungen des Publikums verstehen wollen. Nehmen Sie zum Beispiel den Titel. Wir wussten, es musste ein Name sein. „Carmen“, „Aida“ – bei Opern erwartet das Publikum starke Namen.
Copper: Bevor wir irgendwas von der Geschichte hatten, war klar, dass ein Typ namens Burt Turrido vorkommen würde.
Und wer ist Burt Turrido?
Liska: Ein Außenseiter, eine Projektionsfläche, ein Stellvertreter des Publikums. Er könnte ein außerirdischer Beobachter sein oder jemand, der gegen seinen Willen in die Geschichte hineingezogen wird.
Copper: Die anderen Figuren projizieren ständig Geschichten in ihn hinein. Anfangs brauchen sie einen Sklaven, also ist er ein Sklave. Am Ende machen sie ihn zum Gott. Er ist eine Metapher, aber da er stirbt, werden sie nie erfahren, wofür.
Sie verwenden auch Western-Elemente. Weil Sie als Amerikaner mit bestimmten Klischees spielen wollen?
Copper: Nein, das war so: Das Libretto war in einer sehr formstrengen Sprache verfasst, unser Performer Robert M. Johanson hat dazu Opernmusik komponiert. Aber es wollte keinerlei Reibung zwischen Text und Musik entstehen.
Liska: Man versank in der schönen Musik, sie war gewissermaßen zu gut. Also haben wir im dritten Akt eine Version im Reggae-Stil ausprobiert, eine poppige à la Nicki Minaj und eine im Country-Gewand. Letztere hat am besten funktioniert.
Haben Sie das Thema Ihrer Oper auch in den Handbüchern gefunden?
Liska: Ursprünglich ja. Es sind in der Regel übernatürliche Geschichten mit Geistern, Göttern und Meerjungfrauen, Liebe und Tod und einer breiten Palette an Figuren.
Copper: Während wir am Libretto schrieben, versuchte Trump, Grönland zu kaufen. Das hat uns zu denken gegeben. Man liest ja auch von Inseln, die im Meer verschwinden. Sind wir auch bald Klimaflüchtlinge, und wäre dieser Grönlandkauf vielleicht gar nicht so blöd? Auch die Katastrophenstimmung der Pandemie und der Aspekt der Isolation spielten hinein: Eine der Figuren lebt allein in einem Loch. Die Oper beginnt wie „Der fliegende Holländer“ und endet in unserer Gegenwart.
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