Zum Auftakt der Freiluft-Theatersaison spricht der Schauspieler und Intendant Christian Dolezal über die politischen Qualitäten Johann Nestroys, das Publikum beim Theatersommer Haag und seine eigenen Idole
Der Sommer ist schon da, das Theater folgt bald. Bevor Christian Dolezal zu den Endproben von Nestroys „Der Zerrissene“ nach Haag fährt, trifft er den Falter noch zum Gespräch in der Wiener Innenstadt, entspannt, mit Sonnenbrille und einem T-Shirt der Band Suede, die er verehrt. Im Vorjahr musste der Schauspieler und Intendant sein Festival absagen, heuer darf er die Tribüne füllen.
Falter: Herr Dolezal, Sie nahmen 2020 an der ORF-Show „Dancing Stars“ teil. Erst verzögerte sie sich pandemiebedingt ein halbes Jahr, dann flogen Sie sofort raus. Waren Sie traurig darüber?
Christian Dolezal: Natürlich habe ich mir mehr erwartet. Wir hatten auch eine irrsinnige Gaudi. Mit Andi Ogris und Norbert Oberhauser sind wir beim ORF herumgelaufen und haben überall Bier gefladert. Ich hatte wirklich Lust, mit einer Staatsmeisterin neben einer Weltklasse-Bigband Schönheit zu generieren, und dachte als sportiver, musikalischer Typ auch, ich könnte das. Aber ich muss mich unglaublich überschätzt haben.
Was haben Sie stattdessen die ganzen Wochen gemacht?
Dolezal: Wohl gefühlt habe ich mich, weil ich gut durchtrainiert war. Ich habe an meinem Soloprogramm gearbeitet, das im Winter herauskommt, an einem gemeinsamen Programm mit Christoph Grissemann – und ich habe den Theatersommer Haag vorbereitet.
„Der Zerrissene“ von Johann Nestroy war dort bereits 2020 geplant und wurde wegen Corona verschoben. Rückblickend hätten Sie letzten Sommer dann doch – unter Auflagen – spielen dürfen. Haben Sie die Entscheidung bereut?
Dolezal: Nein. Allein der Aufbau der Tribüne auf dem Stadtplatz in Haag ist mit einem so hohen finanziellen Aufwand verbunden. Wenn wir diese Tribüne dann nicht einigermaßen voll machen können, rasseln wir in die Miese. Dafür hafte ich zwar nicht, sondern der Beirat und die Geschäftsführung, aber bitte: What for?
Haben Sie dann heuer darauf spekuliert, dass Sie exakt mit dem Premierentermin 1. Juli die Tribüne tatsächlich voll besetzen dürfen?
Dolezal: Nein, aber wir haben erfahren, dass es einen Auffangschirm vom Bund gibt, wenn man nur halb voll machen darf. Damit hätten wir überleben können. Die Entscheidung zur Erlaubnis der vollen Auslastung ist noch recht jung. Ob wir es schaffen, in letzter Minute alle restlichen Karten zu verkaufen? Mal sehen. Wenn es dieses Jahr wieder ausgefallen wäre, hätte ich schon einen ziemlichen Blues gehabt.
Konnten Sie die Besetzung aus dem Vorjahr übernehmen?
Dolezal: Nein, einer hat einen kranken Vater, um den er sich kümmern muss, eine andere hat ein Baby geboren, wieder andere haben andere Verpflichtungen. Ich als Lips bleibe. Für die weibliche Hauptrolle habe ich Miriam Fussenegger gewinnen können, die ich hinreißend finde. Wie sich die auf diese Spielweise einlässt!
Welche Spielweise?
Dolezal: Dass wir während der Proben den Text immer wieder verändern. Wir nennen es gerade polleschke psychoaktive Boulevardtragödie. Der Regisseur Dominic Oley hat mit René Pollesch gearbeitet und ist stark von ihm infiziert.
„Der Zerrissene“ ist ja an sich schon eine Komödie. Verträgt sich die mit dem „verkomödisierenden“ Stil von Dominic Oley?
Dolezal: Ja, weil man sowieso existenzielle Not spielen muss. Wenn man sich große Komödianten ansieht, spielen sie große Szenen immer tragisch. Das Scheitern macht die Situation lustig. Man braucht sich nur den Mister Bean anschauen, der in der Kirche sitzt und ein Zuckerl auszupacken versucht, ohne Lärm zu machen. Bei Nestroy kommt noch das Politische hinzu. Noch bevor Marx in Erscheinung getreten ist, stand bei ihm ein Kapitalist im Zentrum. Da geht es um existentielle Themen, das ist nicht lustig-trallala. Aber zum Beispiel die Frauenfiguren müssen heute anders daherkommen, als er sie Mitte des 19. Jahrhunderts geschrieben hat. Im Original hat die Kathi nichts anderes zu tun hat als auf den gealterten Cis-Mann zu warten, damit er sie freit, obwohl er sich die ganze Zeit wie ein Oaschloch aufführt.
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