Mit August Strindbergs Kammerspiel „Fräulein Julie“ eröffnet das Burgtheater die Rumpfsaison / Regisseur Antonio Latella beraubt Oscar Wildes „Bunbury“ seines Geistreichtums
Mateja Koležniks Inszenierungen sind Schockbehandlungen: Psychologische Jahrhundertwendedramen dampft sie auf gut eine Stunde ein, lässt ihr Ensemble den Konflikt intensiv durchleiden und schickt das Publikum dann mit flauem Magen produktiv unbefriedigt heim. So auch bei „Fräulein Julie“, der ersten Premiere der Burg im Akademietheater nach dem Lockdown.
Der Schwede August Strindberg siedelte sein Kammerspiel 1888 in der Küche einer Grafenresidenz an. Bühnenbildner Raimund Orfeo Voigt verlegt es ins Badezimmer, das in der Bühnenmitte exponiert steht wie aus einem übergroßen Puppenhaus herausgeschnitten. Hier und im kaum einsehbaren Vorraum dahinter verrichten Butler Jean und Köchin Kristin letzte Arbeitsschritte vorm Feierabend. Ihr Spiel ist hypernaturalistisch, viel Dialog findet im Off statt, dank dumpfer Mikroportverstärkung hört das Publikum, was es nicht sieht. Die titelgebende Tochter des Hauses borgt sich Jean, angeheitert und ausgelassen, „für einen Tanz“ aus. Dieser, mit Kristin verbandelt, gesteht, einst in Julie verliebt gewesen zu sein, und gibt ihren eindeutigen Avancen nach. Dass das natürlich gar nicht geht, wird beiden erst nachher bewusst.
Mehr im Falter 21/21
***
Oscar Wildes „The Importance of Being Earnest“ ist eines der lustigsten Stücke aller Zeiten. Der Londoner Dandy Algernon Moncrieff hat das Bunburysieren erfunden: Um auf dem Land Ausschweifungen frönen zu können, redet er sich auf einen kranken Freund namens Bunbury aus. Jack Worthing macht es umgekehrt und erzählt der frommen Partie auf seinem Gut, ein Bruder namens Ernst mache Probleme. Amüsante Verwechslungen sind die Folge, vor allem aber sprühen die Charaktere nur so vor Schlagfertigkeit und Witz, jeder zweite Satz ist ein Bonmot.
Im Akademietheater inszeniert Antonio Latella die schlicht „Bunbury“ betitelte deutsche Übersetzung. Latellas Spezialität ist nicht das Komödienhandwerk, er interessiert sich für Biografien. So projiziert er in die Nebenfigur des Butlers Lane den Autor Wilde, der hin und wieder Anweisungen einstreut und vom Theatersessel aus das Geschehen auf einer zunächst leeren Bühne beobachtet. Wilde spickte sein Stück mit Anspielungen auf sein eigenes Doppelleben als Homosexueller, bald nach der Uraufführung kam er wegen Unsittlichkeit in Haft. Heute freilich gibt es hier nichts mehr zu verstecken, und wenn einander die beiden Dandys am Ende von Akt I küssen und Marcel Heuperman als Lane verzückt den ersten „gay moment!“ ausruft, wirkt das eher pubertär als lustvoll queer.
Mehr im Falter 21/21