„Sein Beruf verlange absolute Perfektion. Keine Eintrübung vom Emotionalen her.“ Friedrich Dürrenmatts (1921–1990) Beschreibung eines Auftragsmörders in der Erzählung „Vinter“ trifft auch ganz gut seine eigene Grundhaltung. Als junger Mann nahm sich der Autor von Evergreens wie „Der Besuch der alten Dame“ vor, „nur noch logisch zu leben“, Denker von Sokrates bis Kant bestimmten sein Schreiben. Generationen von Deutschschülern machte er Literatur zugänglich, weil er die seine nicht aus Sprache oder Charakterzeichnung, sondern aus Stoffideen gebar. Seine auf dem Reißbrett konstruierten Gedankenspiele und Sci-Fi-Szenarien machen die Theaterstücke heute mitunter schwer spielbar, zwingen aber immer wieder aufs Neue zum Mitdenken.
Im Dürrenmatt-Jahr 2021 schließt das Schweizerische Literaturarchiv eine germanistische Herkules-Aufgabe ab: „Das Stoffe-Projekt“. An der fünfbändigen textgenetischen Edition mit Online-Erweiterung lässt sich im Detail nachvollziehen, wie die 1981 bzw. 1990 erschienen Bände „Labyrinth. Stoffe I–III“ und „Turmbau. Stoffe IV–IX“ über Jahrzehnte entstanden und was alles umgeschrieben, ausgegliedert, erweitert, verworfen wurde. In diesem Spätwerk vermischt Dürrenmatt autobiografische Schilderungen mit Erinnerungen an nicht verwertete Ideen, die er dabei ironischerweise zu verwerteten macht.
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