Der Autor und Regisseur René Pollesch zeigt seine neue Arbeit bei den Wiener Festwochen. Ein Gespräch über Theaterdemokratie, Femwashing und seine Pläne für die Berliner Volksbühne
René Pollesch sieht munter und fröhlich aus. Wer kurz vor dem Start seiner ersten Intendanz steht, wirkt in der Regel abgekämpfter. Der deutsche Regisseur, der seit den Neunzigerjahren Theaterstücke schreibt und auch immer selbst inszeniert, übernimmt im Herbst für mindestens fünf Jahre die Leitung der geschichtsträchtigen Berliner Volksbühne. Unter seinem Vorvorvorgänger, dem Langzeitchef Frank Castorf, zeigte Pollesch in dem ehemaligen DDR-Theater seine ersten aufsehenerregenden Arbeiten. 2017 endete diese Ära.
Polleschs Stücke haben meist keine Handlung. Gängige Diskurse werden darin mit popkulturellem Entertainment vermischt und von gut gelaunten Schauspieler:innen ersten Ranges (auch beim Sprechen besteht Pollesch auf die Gender-Pause) dargeboten. Eine davon ist Kathrin Angerer. Der Star der Castorf-Volksbühne bekommt in der ersten Inszenierung der Pollesch-Intendanz sogar ihr eigenes Stück: „Die Gewehre der Frau Kathrin Angerer“ von René Pollesch feiert nicht in Berlin seine Uraufführung, sondern schon am 5. Juni im Theater an der Wien im Rahmen der Wiener Festwochen.
Falter: Herr Pollesch, wie finden es die Berliner, dass Ihre erste Premiere als Intendant der Volksbühne in Wien stattfindet, noch bevor die genauen Pläne für die erste Spielzeit bekannt sind?
René Pollesch: Wir werden das natürlich auch in Berlin zeigen, aber es wird nicht die Eröffnung sein. Das kann man nicht machen, da muss man schon mit einem Originalstück antanzen.
Sie verstehen die Volksbühne auch als Einladung an linke Bewegungen. Wie sieht die aus?
Pollesch: Viele haben die Volksbühne unter Castorf, an der ich ja auch mitgearbeitet habe, lange als offenes Haus wahrgenommen. Wir beschäftigten uns mit Themen, die die reale lokale Nachbarschaft und bestimmte Aktivist:innen angezogen haben. Diese Positionierung als politisches Theater hat in unseren letzten Jahren der Volksbühne aber abgenommen.
Das wollen Sie jetzt wieder beleben?
Pollesch: Genau. Das darf aber natürlich nicht heißen, dass wir unendlich viele Theaterkünstler:innen Berlins unbezahlt auftreten lassen wollen. Der Publizist Dietmar Dath hat mal gesagt, das Abgeschmackteste am Kapitalismus ist, dass alle nur noch Liebe wollen und keiner mehr Geld will. Wir müssen den Mindestlohn zahlen, und das ist auch gut so.
Sie sagen immer „wir“. Wer ist damit gemeint?
Pollesch: „Wir“ sind immer die, die den jeweiligen Abend machen. Leute, die autonom arbeiten, aber dabei nicht hermetisch sind. An der Volksbühne wollen wir unsere Praxis auf ein ganzes Haus übertragen. Wir werden nicht Regisseur:innen suchen, weil wir bestimmte Handschriften wollen, sondern die Schauspieler:innen sagen, mit welchen Regisseur:innen sie arbeiten wollen. Also das Casting läuft andersrum. Wir treffen Entscheidungen gemeinsam. Wir machen aber keine Abstimmungen. Wenn drei, vier Leute der Meinung sind, das ist eine gute Idee, dann verfolgen die das.
Florentina Holzinger haben Sie von Anfang an ins Spiel gebracht. Die österreichische Choreografin ist erst durch Ihre Erwähnung auch in Deutschland richtig bekannt geworden. Hat sie Zeit für die Volksbühne?
Pollesch: Wir haben sie 2018 kontaktiert, im Winter, es war kalt, sie hatte einen schicken Mantel an. Sie wusste auch nicht, wer wir sind oder was die Volksbühne ist. Wir haben ihr die Bühne gezeigt. Sie sagte, wow, das ist eine geile Bühne, und freute sich darauf. Wir sagten, wir wissen noch nicht, ob wir es werden. Sie sagte, hoffentlich. Zu dem Zeitpunkt, als wir sie trafen, hatte sie großes Interesse, mit Schauspieler:innen zu arbeiten. Und alle Schauspieler:innen von uns haben großes Interesse an ihr.
In Deutschland kommen gerade immer mehr Fälle von Machtmissbrauch und Rassismus an Theatern zutage. Wie wollen Sie als Intendant Vorfälle wie bei Ihrem unmittelbaren Vorgänger Klaus Dörr oder auch bei Shermin Langhoff am Gorki-Theater verhindern?
Pollesch: Wir machen zum Beispiel keine Repräsentationsstücke, das heißt, wir verwickeln die Spieler:innen nicht in Szenarien und Narrationen, die bestimmte sexistische, rassistische und homophobe Effekte hervorrufen. Und ich verwickle die Schauspieler:innen auch nicht mit meinen Texten in meine Biografie. Alle sind dabei, während das Stück entsteht. Jeder weiß, warum ein Text drinnenbleibt und ein anderer rausfliegt. Das ist unser Ersatz für einen Subtext. Wir machen Antirepräsentationstheater. Wir delegieren Texte nicht nach Geschlechtern, wir haben keine Narration, die alle zwingt, sie abzulatschen.
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