März 2021. Wer angesichts des visueller Poesie ähnelnden Schriftbildes zweifelt, dass es sich hier um ein Theaterstück handelt, wird rasch eines Besseren belehrt. Denn im Prolog ergreift ein resoluter Sprachchor namens "Die Platzanweiserinnen" das Wort und weist einen zurecht: "Das und nur das ist dein Platz / Wenn du lieber woanders sitzen würdest / Pech gehabt".
Schon vor zehn Jahren, als Anna Gschnitzer mit dem dramatischen Schreiben begann, experimentierte sie gerne mit der Metaebene. Vom Niederreißen der vierten Wand konnte da gar nicht erst die Rede sein, mit den ersten in Wiens Off-Szene aufgeführten Stücken brachen die Gedankenkaskaden nur so frontal über das Publikum hinein. Figuren oder Handlungen gab es keine. Auch ihr neues Stück "Einfache Leute" lässt sich nicht genau verorten. Da entsteht irgendwo in einem Museum eine Installation, "zimmergroße weiße Kapseln / die nichts von ihrem Innenleben preisgeben" und ein Text, "der in endlosen und komplizierten Sätzen / die Relevanz dieser Ausstellung unterstreicht / geschrieben in einer Sprache / die nur von anderen Kuratoren / verstanden wird“, aber immerhin: "wenn die Besucherinnen mutig genug sind / können sie in eine Kapsel steigen".
Und doch ist da mittlerweile mehr als nur der aktivistische Diskurs, der Spaß am Jonglieren mit dem Sprachspiel. Die 1986 geborene Tiroler Autorin präsentiert sogar eine Identifikationsfigur: Alex, einst in Toni verliebt, beide sind Frauen, die dem Rufnamen nach auch Männer sein könnten, umgeben von Eltern und männlichen Chefitäten. Die mit "Du" überschriebenen Texte sprechen gar nicht unbedingt (nur) die Zuschauer*innen an, auch Alex ist gemeint. In der ersten der 28 Szenen wird sie 40 Jahre alt, hat ihr Ich von vor 20 und mehr Jahren aber noch deutlich vor sich.
Heute arbeitet Alex für einen von vornherein unguten Vorgesetzten im schon erwähnten Museum moderner Kunst, damals lag sie neben Toni in ihrem alten Kinderzimmer und sprach über die Zukunft. Wenn es möglich wäre, würde Toni dann weggehen? "Klar. Du würdest gar nicht so schnell Scheißhaufen sagen können." Das ist dann schnell irgendwie persönlich genommen, eine Verletzung, die nie ausgesprochen immer noch nachwirkt, als zum Vierziger plötzlich eine Geburtstagskarte hineinflattert.
Zurück aus der Zukunft
Szenen von früher, die sich in die Gegenwart mischen, erwecken schnell den romantischen Wunsch, es müsse doch eigentlich doch noch was werden können mit den beiden. Die Autorin beschreibt die Technik einleitend wie folgt: "Jüngere und ältere Versionen derselben Figur treffen aufeinander und unterhalten sich wie in einem Traum oder so, als hätten sie den Mut, einander zu sagen, was sie fühlen. (...) Vergangenheit und Gegenwart bewegen sich aufeinander zu, vielleicht um einander zu entschlüsseln." So arbeitet, was anfangs noch eine typisch auf die Bühne gehobene essayistische Selbstanklage der Theaterblase an und für sich werden könnte, überraschend und fast schon altmodisch mit Figurenpsychologie.