ANNA SEGHERS UND DIE GRÖSSTMÖGLICHE DISTANZ: Der Aufbau-Verlag arbeitet an einer Werkausgabe der Anna Seghers. So lässt sich nun ihr zweiter Roman „Der Kopflohn“ staunend wiederlesen.
„Fing das jetzt wieder an? Das Werweißen. Der Argwohn hinter allem. Wenn du etwas Verdächtiges bemerkst, musst du es melden. Der freundliche Nachbar führt Finsteres im Schild.“ Diese Zeilen in Robert Cohens literaturhistorischer Spekulation „Anna Seghers im Garten von Jorge Amado“ könnten sich auf ihren zweiten Roman „Der Kopflohn“ beziehen, tun dies aber nicht. Die Szene, die der Autor sich vorstellt, spielt in Brasilien 1963, Anna Seghers ist schon seit Jahrzehnten in diversen Exilen unterwegs gewesen und nach Deutschland zurückgekehrt, als Kommunistin sogar freiwillig in die DDR. Das „Werweißen“ hingegen, das ist sie nie losgeworden.
Weltruhm erlangte Seghers’ „Das siebte Kreuz“ (1942), ihr Roman „Transit“ (1944) erfuhr dank heutiger Fluchtbewegungen und einer deutschen Verfilmung 2018 Aufmerksamkeit. „Der Kopflohn. Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932“ hingegen bedarf der Wiederentdeckung. Er kam 1933 heraus, in einem Jahr, als die Autorin bereits Gestapo-Verhaftungen erleiden musste und auf dem Sprung in die Schweiz, weiter nach Paris und noch weiter nach Mexiko war. So erschien „Der Kopflohn“ in Amsterdam, in Deutschland wäre daran nicht mehr zu denken gewesen. Denn die Dorfgeschichte dokumentiert praktisch in Echtzeit die letzten Meter vor der Machtergreifung der Nazis.
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