Das Festspielhaus St. Pölten wird 25. Die scheidende Leiterin Brigitte Fürle blickt vor und zurück
Ein neues Theater mit tausend Plätzen in einer Stadt mit 55.000 Seelen? Vor 25 Jahren erfüllte dieses Vorhaben in und um St. Pölten viele mit Skepsis. Am 1. März 1997 wurde das Festspielhaus im Regierungsviertel der niederösterreichischen Kapitale eröffnet, ursprünglich als Homebase für das heimische Tonkünstlerorchester. Die bisher fünf künstlerischen Leitungen addierten nach eigenem Geschmack Sparten, heute hat das Festspielhaus daher Live-Kunst aller Genres außer Schauspiel zu bieten.
Die aktuelle Leiterin Brigitte Fürle brachte ihre Leidenschaft für Zirkus ein. Außerdem hat die 1960 geborene Wienerin die Spielstätte als internationales Tanzhaus manifestiert, das große Namen der Choreografieszene schon einmal für eine einzige Vorstellung gerne aufsuchen. Fürle feiert diese Saison nicht nur das 25-jährige Jubiläum des Hauses, sondern auch ihren Abschied. Nach neun Jahren folgt ihr im Herbst 2022 Bettina Masuch nach. Im Falter-Gespräch blickt Brigitte Fürle vor und zurück.
Falter: Frau Fürle, Sie kamen 2013 von den Berliner Festspielen nach St. Pölten. Wie war es für Sie, eine so kleine Stadt mit einem so großen Mehrspartenhaus vorzufinden?
Brigitte Fürle: Ich wollte zurück nach Österreich und ein großes Haus leiten. Beides habe ich bekommen. Man kann hier konzentriert arbeiten, das sagen auch unsere internationalen Stars. St. Pölten hat alles, was eine große Stadt hat, aber man kann mit mehr Lebensqualität und weniger Chichi arbeiten. Untertags sind viele junge Leute unterwegs, nur am Abend ist es beschaulich.
Also kein Kulturschock?
Fürle: Im Gegenteil. Ich habe ja einen niederösterreichischen Hintergrund, bin in Maria Enzersdorf aufgewachsen. Nur habe ich St. Pölten in meiner Kindheit als sehr dunkel erlebt. Als ich nach fast 14 Jahren in Deutschland, davon sieben in Berlin, zurückkam, habe ich in meinen ersten Interviews gesagt: „Hier muss man mal die Temperatur steigern.“ Das betrifft diverse Maßnahmen im Haus, etwa wie ich eine Premierenfeier ausrichte oder die roten Sitzgelegenheiten im Foyer. Um einer gewissen Lieblosigkeit entgegenzuwirken, habe ich Pflanzen aufstellen lassen und den Architekten wiedergeholt, der dann mit dem technischen Leiter eine Bar gestaltet hat.
Ein Festspielhaus mit tausend Plätzen in einer Stadt, wo 55.000 Menschen leben: Hätte das für Sie vor 25 Jahren schon eingeleuchtet?
Fürle: Es ist ein mutiges Zeichen. Noch während der Bauphase herrschte eine große Skepsis. Andererseits wurden in den 80er-Jahren in Frankreich unter Kulturminister Jack Lang Kulturbauten mit tausend Plätzen in kleineren Gemeinden als St. Pölten aufgestellt, mit anhaltendem Erfolg. Für viele Leute aus Wiener Randbezirken ist es kein so großer Unterschied, ob sie in die Innenstadt fahren oder hierher. In Wien müssen sie allerdings bis 22 Uhr Kurzparkzone zahlen, wir haben eine besucherfreundliche Garage. Außerdem bieten wir einen Shuttle-Bus aus Wien an und Einführungen zu den Vorstellungen. Wir legen schon großen Wert auf Service, sodass klar ist, dass sich die Anreise lohnt.
Sie sind die fünfte künstlerische Leiterin in der Geschichte des Festspielhauses. Inwiefern haben Sie die Programmierung geprägt?
Fürle: Die Sparten kamen nach und nach hinzu: Von Dieter Rexroth kam das Musiktheater, von Mimi Wunderer der Tanz, von Michael Birkmeyer das zeitgenössische Ballett und von Joachim Schlömer die Community-Arbeit und Kulturvermittlung. Ich habe meine Leidenschaft für den zeitgenössischen Zirkus mitgebracht. Ich arbeite gerne in einem großen programmatischen Spannungsbogen, der emotionale und streng formale Tanzsprachen gleichermaßen zulässt. Jedenfalls habe ich keine Berührungsängste mit großen Gefühlen im Theater. Und ich habe den großformatigen Tanz zu einem Schwerpunkt des Festspielhauses gemacht, weil es dadurch ein Alleinstellungsmerkmal in Österreich bekommt. Mit solchen Produktionen erreicht man ein überregionales Publikum.
Weiter im Falter-Kulturwinter 2021 (Beilage zu Ausgabe 45/21)