Der Wiener Autor Gábor Fónyad geht Auswüchsen des ungarischen Größenwahns auf den Grund
Einst zog ein Volk über den Ural gen Europa. Eine Hälfte ging ins heutige Finnland, die andere nach Ungarn. Ersteren wurden alle Vokale zugesprochen, letzteren die Konsonanten. Diese Legende dient als Merkhilfe für die gemeinsame Abstammung der beiden Sprachen. Obwohl diese wissenschaftlich belegt ist, wird sie in Ungarn zusehends bezweifelt. Ist ja auch kaum zu glauben, dass die Ortsnamen Uusikaupunki und Szentgyörgyvölgy auf dieselbe Sprachfamilie zurückgehen.
„Die Ungarn sind etwas Besonderes. Das denken zumindest überproportional viele von ihnen“, begründet das der 1983 in Wien geborene Autor, Gymnasiallehrer und Universitätslektor Gábor Fónyad. Dass er Finnougristik studiert hat, traut sich Fónyad manchmal gar nicht zuzugeben. „Die neuen ungarischen Geschichtsbücher führen die Verwandtschaft mit dem Finnischen als nur eine von mehreren Thesen“, erklärt Fónyad. „Dafür rückt die Beziehung zu den Hunnen in den Vordergrund, die aber eher in den Bereich der Mythologie gehört. Und irgendwann landest du dann bei Jesus.“
Mit der Idee, Gott habe zuerst die Ungarn geschaffen, Ungarisch sei die Ursprache der Menschheit, wird seit dem frühen 20. Jahrhundert geliebäugelt, Exilanten auf der Flucht vor dem religionsfeindlichen Kommunismus verbreiteten die Mär und verkauften erfolgreich ihre entsprechenden Schriften. Das Buch „Der Gott der Ungarn“ eines gewissen János Borbola etwa ist derzeit vergriffen.
In seinem zweiten Roman „Als Jesus in die Puszta kam“, der ersten Publikation im Wien-Imprint des Schweizer Verlags Elster & Salis, spinnt Fónyad die irre Theorie weiter. Seine Großväter waren beide Theologen und nicht linientreu, ihre Kinder emigrierten und lernten einander beim Studium in Wien kennen. Wie der Autor ist der Ich-Erzähler des Romans Wiener mit ungarischen Wurzeln. Ludwigs Eltern sind gestorben, seine Freundin hat ihn verlassen. Den lustlos verrichteten Job im Spielwarengeschäft hat er nur deswegen, weil dessen Besitzer es interessant findet, dass er Ungarisch kann. Trotz seines österreichischen Akzents meint eine Gruppe Männer, in Ludwig den „wahren“, den ungarischen Jesus zu erkennen. Sie laden ihn nach Szentkukac ein (zu deutsch: Heiligenwurm), ins Zentrum der Urmagyaren, um ihn der Gemeinde früher oder später als Messias zu präsentieren.
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