Ein Gesprächsband und eine theaterwissenschaftliche Abhandlung widmen sich zum 10. Todestag von Christoph Schlingensief einem heute fast unwahrscheinlich erscheinenden Universalkünstler.
Es ist schwer zu sagen, wie es Christoph Schlingensief heute ergehen würde. Wir leben in einer Zeit erhöhter politischer Wachsamkeit und Sensibilität. Videos auf eine dicke, nackte Frau projizieren; Menschen mit Behinderung auf der Bühne oder im Fernsehen vermeintlich ausstellen; Asylwerber in einem Container der Abwahl à la „Big Brother“ aussetzen – das erregte schon damals die Gemüter. Heute ist es gut möglich, dass man es nicht mehr achselzuckend als Aktionismus abstempeln könnte. Nicht auszudenken: ein Christoph Schlingensief, der sich entschuldigt, weil er zu weit gegangen ist.
Im August 2010 starb der Universalkünstler an Lungenkrebs, bevor er sein 50. Lebensjahr vollenden konnte. Seit der Diagnose war die Krankheit und der eigene bevorstehende Tod zentraler Gegenstand seiner Arbeit gewesen. Zum doppelten Anlass – zehnter Todestag, 60. Geburtstag – geben zwei Bücher Einblick in Schlingensiefs Kunst und Leben.
Dass er sich aus der katholischen Bürgerlichkeit Nordrhein-Westfalens kommend von seiner Vergangenheit als Messdiener nie lossagte, machte ihn für das Publikum wohl noch schwerer zu fassen. Ein Angebot, es doch zu versuchen, unternimmt der Gesprächsband „Kein falsches Wort jetzt“, herausgegeben von Schlingensiefs Witwe, der Kostümbildnerin Aino Laberenz. Die Interviews mit diversen deutschsprachigen Medien sind chronologisch von 1984 bis 2010 geordnet und dokumentieren Schlingensiefs künstlerische Entwicklung von Filme- zum Theatermacher zum Aktions- und bildenden Künstler.
Nebenbei veranschaulicht der Band den Umgang des kunst- und mediensatten ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts – noch vor Social Media – mit seinen Protagonisten. Vor allem zeigt er auf amüsante Weise: Christoph Schlingensief muss ein so begeisternder wie frustrierender Gesprächspartner gewesen sein. Er kam scheinbar vom Hundertsten ins Tausendste, hielt den eigenen roten Faden aber stets fest in der Hand, ein Regisseur sogar seiner Interviews.
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