Bezaubernd pur: „Romeo und Julia“ nehmen sich bei den Sommerspielen Perchtoldsdorf Zeit zum Schmusen und Sterben
Sie sind so süß: Und noch ein Bussi. Jetzt aber gehen, schnell! Na gut, doch noch ein letztes! Lena Kalisch und Valentin Postlmayr geben zwei äußerst authentische Frischverliebte. Bevor Shakespeares „Romeo und Julia“ ins Tragische kippt, schmusen sie schüchtern, necken einander und vergessen die Welt um sich herum. Die legendäre Balkonszene funktioniert in Veronika Glatzners Inszenierung vor der Fassade der Burg Perchtoldsdorf auch deshalb so gut, weil das der Burg vorgebaute Gerüst gleich eine ganze Bühnenbreite an bekletterbaren Balkonen bietet. So kommt Bewegung ins Liebeswerben.
Zum zweiten Mal nach 2017 sprang Glatzner als Regisseurin für Michael Sturminger ein. Der Intendant der Sommerspiele Perchtoldsdorf musste sich um seine „Jedermann“-Inszenierung in Salzburg kümmern. Seine Kinder blieben. Marie Sturminger entwarf farbarme und teils bizarre Kostüme: Je jünger oder progressiver ein Charakter, desto genderfluider die Gewandung. Ihr Bruder Paul Sturminger hat vor besagtem Gerüst ein paar Blumen platziert. Blickfang des Bühnenbilds sind aber großflächige weiße Tücher, deren wildes Flattern sich im Abendwind kaum bändigen lässt. Der Wind verblies bei der Premiere auch manche Subtilität im Spiel, manche psychologische Pause. Veronika Glatzner ging ein Wagnis ein, indem sie auf der großen Freiluftbühne neben obligatorischen Schwertkämpfen und Deklamationen auch auf leise Töne abzielte.
Wann immer diese gelingen, sind sie bezaubernd pur und zeigen Romeo und Julia als die unerfahrenen Teenager, die sie sind. Postlmayrs Liebesschwüre klingen, als fielen sie ihm im Stress, das Mädchen zu beeindrucken, Wort für Wort ein. Und wenn Kalisch Dinge sagt wie: „Dann sei mein Grab ab jetzt mein Hochzeitsbett“, merkt man, dass die dreizehnjährige Julia derlei Gerede bei den Erwachsenen abgelauscht hat. Das ist sinnvoll und sinnlich. Bisweilen steht die größtenteils gereimte Neuübersetzung der Dramaturgin Angelika Messner dem natürlichen Sprechstil freilich auch im Weg. Da wirkt es fast befreiend, wie Roman Blumenschein in der Rolle von Julias grindig-übergriffigem Vater statt wohlklingender Shakespeare-Verse zu einer ordinären Schimpftirade ansetzt, als die Kleine nicht gehorcht.
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