Kaum genesen, wird schon gelesen. Das Kabinetttheater feierte mit dem Einmal-Abend „Letzte Lockerung“ die neueste Regierungsverordnung
An den Augen oberhalb der Stoffmasken war vielfach ein Strahlen zu erahnen. Ein feierliches Lächeln der Erleichterung, gemischt mit ganz leicht schwelender Publikumspanik: Ist es eh sicher hier? Wie wird es uns ergehen nach elf theaterlosen Wochen? „Das Wirtshaus als Vorbild, das hat uns gut gefallen“, frohlockte Direktorin Julia Reichert in ihrer Ansprache vor erstaunlich vielen Vierergruppen am 29. Mai, dem ersten Tag überraschender Corona-Theateröffnungen. Damit spielte sie auf die aktuell gültige Verordnung an, wonach bis zu vier Menschen unbeabstandet nebeneinandersitzen dürfen, wie in der Gastronomie.
Zur Feier dieses Tages hatte das Kabinetttheater innerhalb von zehn Tagen ein Programm aus bewährten Zutaten zusammengeschustert: Den Schauspieler Wolfram Berger sieht und hört man hier oftmals lesen, die Streichmusiker Markus Kraler und Nikolai Tunkowitsch sind ebenso bekannt wie das literarische Universum des Dadaismus – Anfang September möchte Reichert mit einem Abend über die Surrealistin Unica Zürn die Saison eröffnen. Der Haupttext der diesmal angesetzten Lesung mit Musik trägt den passenden Titel „Letzte Lockerung“ und ist eine Art Anleitung des dadaistischen Schriftstellers Walter Serner aus 1918, sich nicht so anzuscheißen. Nur für die liebevoll gestalteten Puppen, die man im Kabinetttheater gewohnt ist, war keine Zeit.
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