Hosea Ratschiller ist Radiomacher, Fernsehmoderator und einer der wenigen Satiriker Österreichs. Am 8. Dezember wird ihm zum dritten Mal der Österreichische Kabarettpreis verliehen
Wie kaum ein anderer kann der 39-jährige seine Stimme verstellen, trifft Dialekte und Akzente auf den Punkt. Hosea Ratschiller war der FM4-Ombudsmann, er moderiert die ORF-Sendung „Pratersterne“ und hat auch kein Problem damit, andere an die Rampe zu lassen. Obwohl er nie dem Klischee des Austro-Kabarettisten entsprach, nimmt er am Dienstag nun schon zum dritten Mal den erst seit 1999 vergebenen Österreichischen Kabarettpreis entgegen. Wer ist der gebürtige Kärntner, der sich einst beschwerte, die Berichterstattung über ihn in dieser Zeitung sei zu freundlich? Der Falter traf Hosea Ratschiller – ein plakatives Symbol für die Situation der Kunst in Zeiten von Corona – in der derzeit verwaisten Wiener Stadthalle.
Falter: Herr Ratschiller, mit Ihrem Solo „Ein neuer Mensch“ erhalten Sie zum dritten Mal den Österreichischen Kabarettpreis. Haben Sie Ihr Stück seit der Premiere 2019 mit Corona-Gedanken angereichert?
Ratschiller: An einer Stelle sage ich das Wort Lockdown, ansonsten ist das Stück völlig unverändert. Interessanterweise ist es sogar aktueller geworden. Mein Bühnen-Ich zieht sich in seine Wohnung zurück, dort gerät alles aus den Fugen. Ein möglicher Titel wäre auch „Auf der Suche nach der neuen Normalität“.
Sie nennen Ihre Programme konsequent Theaterstücke.
Ratschiller: Angefangen habe ich mit Texten für Off-Theater-Produktionen. Da ist das Publikum aber sehr eingeschworen. Das Coole am Kabarett ist, dass die Leute aus sehr unterschiedlichen Hintergründen und Altersgruppen kommen. Dadurch sucht man immer nach einer Durchlässigkeit zwischen großen Gedanken, Philosophie, Wissenschaft, Politik einerseits und einer Sprache, die sich nicht an Zielgruppen wendet, sondern an Menschen. Kabarett ist Pop.
Aber haben die verschiedenen Kabaretts in Österreich nicht unterschiedliche Zielgruppen? Kommen Sie im Orpheum in der Donaustadt gleich gut an wie im distinguierten Niedermair in der Josefstadt?
Ratschiller: Anders gut, würde ich sagen. Mein Text stellt eine Welt hin. Und durch diese Welt wird dann spaziert. Am einen Abend kann die eine Geschichte wichtiger sein, am anderen eine andere, mal mehr Schauspiel, mal mehr Stand-up, je nachdem, wie das Publikum drauf ist. Aber es bleibt derselbe Text, nur anders nuanciert. Je besser ich als Performer das Stück beherrsche, desto eleganter kann ich variieren. Darum ist mein Ziel, meine Programme mehrere Jahre spielen zu können.
Ist hierfür das regelmäßige Gewinnen von Kabarettpreisen förderlich?
Ratschiller: Es ist schon hilfreich. Also dem Publikum ist völlig wurscht, ob man einen Kabarettpreis hat, aber es senkt die Hemmschwelle der Veranstalter, einen zu buchen.
Können Sie sich, sobald Sie gebucht wurden, darauf verlassen, gut besucht zu sein?
Ratschiller: Bei mir hat es zehn Jahre gedauert, bis die Leute wirklich wegen mir gekommen sind. Jetzt ist es so: Wenn der Abend gut ist, spricht sich das rum, wenn nicht, dann nicht. Wenn ein Programm im ersten Jahr nicht anspringt, sollte man schauen, dass man bald ein neues schreibt.
Gab es das bei Ihnen auch?
Ratschiller: Zwischendurch hatte ich schon schwierige Jahre. Da ist man ständig knapp vorm Aufhören und muss Nebenjobs annehmen.
Was haben Sie gemacht?
Ratschiller: Da waren diverse Jobs und ein Abstecher ins Altersheim. Aber ich lebe, seit ich 18 bin, hauptsächlich von kleineren und größeren Arbeiten im Kulturbetrieb. Der einzige Berufswunsch, den ich je hatte, war Schauspieler. Mein Idol mit sieben war Prince. Ich habe auch noch nie etwas geschrieben, was nicht dazu gedacht war, vorgetragen oder gespielt zu werden.
Und das seit den Neunzigern.
Ratschiller: Als ich 15 war, hat sich Radio Orange gerade neu gegründet. Mein Freund Lukas Tagwerker und ich mussten also nur hingehen und sagen, dass wir Lust haben, was zu machen. Die haben uns gezeigt, wie der Regler aufgeht, und wir hatten eine Radiosendung.
Hat sich die auch jemand angehört?
Ratschiller: Wahrscheinlich schon. Wir haben schon Anrufe gekriegt von seltsamen Gestalten. Schwer zu sagen, ob die gewusst haben, was wir da machen. Wir selbst wussten es jedenfalls nicht so genau. Wir haben Sketches gespielt, dazwischen Musik aufgelegt und irgendetwas geredet. Ich will das aber gar nicht kleinreden. Zwischen 16 und 23 war das mein Leben. Am Wochenende sind wir vor dem Ausgehen bei mir oder beim Lukas im Zimmer gesessen und haben uns ausgedacht, was wir am Sonntag senden werden. Geprobt wurde vorm Flex und von dort ging’s fast direkt ins Studio. Es war unglaublich bestärkend.
Besagter Lukas Tagwerker hat uns außerdem mitgeteilt, Sie hätten sich gemeinsam in einem Klagenfurter Hörsaal die nackte Brust aufgeschlitzt.
Ratschiller: Das war er, nicht ich! Wir haben allerlei Performances gemacht. Schlingensief hat uns stark beeinflusst, und ich habe damals Antonin Artaud und Dario Fo gelesen – ich wollte anarchistisches Theater machen.
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