Jérôme Bel performt John Cage, blickt zurück und will den Festivalbetrieb nachhaltig machen
Der prägende französische Choreograf Jérôme Bel, 55, ist gleich dreifach bei Impulstanz vertreten. Und das, obwohl er sein Leben auf den Kopf gestellt hat und in kein Flugzeug mehr steigt. Ein Gespräch über John Cage, die alte und die neue Zeit.
Falter: Herr Bel, Sie tragen die „Lecture on Nothing“ des großen Komponisten John Cage bei Impulstanz vor. Wie kamen Sie darauf?
Jérôme Bel: Cage inspiriert mich sehr. Schon seit geraumer Zeit versuche ich, im Zuschauer einen ähnlichen Zustand der Meditation zu erzeugen, wie ich sie selbst praktiziere. Nach einigen weniger erfolgreichen Versuchen habe ich entschieden, einfach diesen prägenden Text auf der Bühne zu lesen.
Cage gibt eine sehr genaue Notation vor, wie seine Lecture vorzutragen ist. Robert Wilson tat es 2012 in einem eher unheimlichen Bühnenbild. Wie bringen Sie Ihre eigene künstlerische Freiheit in das Projekt ein?
Bel: Oh, die Version von Bob Wilson habe ich auch gesehen. Die Bühne war überfrachtet, Bob ganz in Weiß, total lachhaft! Und dann, obwohl ich es in dieser theatralen Üppigkeit nicht erwartet habe, war ich plötzlich tief bewegt. Und habe verstanden, dass dieser Text alles aushält. Aufgrund dieser Erfahrung habe ich die szenischen Elemente auf ein Minimum reduziert und interpretiere alles so, wie ich glaube, dass Cage es meinte.
Außerdem halten Sie zwei Nachmittage einen Thinktank zum Thema Tanz und Ökologie ab.
Bel: Ich will in diesem (letzten?) historischen Moment meine Sorge über die Erderwärmung zum Ausdruck bringen. Also lade ich Tänzerinnen, Kuratoren, Technikerinnen, Caterer, Produzentinnen, Kostüm- und Bühnenbildner, Zuschauerinnen, Aktivisten, Choreografinnen, Kulturpolitiker, Kritikerinnen (kommen Sie auch?), Firmenbosse, Kommunikationsmenschen, Lichtdesignerinnen und so weiter ein, Lösungen zu finden, damit das, was wir tun, nachhaltig wird. Wir müssen neue Arbeitsweisen finden, die gewiss zu neuen Tanzformen führen werden. Es heißt nicht umsonst zeitgenössischer Tanz, und die Zeit ist jetzt.
Wann haben Sie begonnen, die Vereinbarkeit des Festivalbetriebs mit ökologischem Denken in Frage zu stellen?
Bel: Letzten Februar. Ich war daheim in Paris und drehte die Heizung runter, um Energie zu sparen. Da fiel mir ein, dass in dem Moment zwei meiner Assistenten im Flugzeug aus Hongkong saßen, wo sie mein Stück „Gala“ neu inszeniert hatten. Zwei andere flogen gerade nach Lima, um dort genau das Gleiche zu tun. Plötzlich begriff ich, dass mein Leben eine Illusion war, wie schlechtes Theater. Ich behauptete etwas und tat gleichzeitig das Gegenteil. Das stürzte mich in eine schwere Depression. Dann beschloss ich, dass weder ich noch meine Gruppe wieder fliegen würden.
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