In meinem 2016 erschienenen „Buch der Schurken“ versammelte ich 100 der genialsten Bösewichte der Weltliteratur in einem Minilexikon. Einige blieben dabei auf der Strecke. Schändlicherweise. Hier begleiche ich nach und nach die schurkische Schuld.
Eine existenzielle Frage, die den literarischen Schurkologen umtreibt, ist jene von der naturgegebenen Güte oder eben Schlechtheit des Menschen. Besonders genießbare Studienobjekte sind daher Figuren, die irgendwie aus dem Nichts kommen. Die dazu veranlagt wären, die Unschuld in Person zu sein.
Ausschließlich Unschulden vom Lande wachsen in Liebwies, einem hinterletzten Kaff in Österreich, in das es durch Zufall 1924 einen kriegsversehrten Musiker als Lehrer verschlägt. Dass der den Experten Wagenrad zu einem Kirchenkonzert lädt, hat eigentlich damit zu tun, dass er das talentierte Bauernkind Karoline ganz groß rausbringen will. Doch dem frisch verwitweten (und auch sonst ziemlich erledigten) Wagenrad verdreht ihre Schwester Gisela den Kopf. Die kann zwar nicht singen, ist aber strahlend schön. Deshalb denkt sie nicht nur, dass sie sich alles erlauben kann, als er sie mit nach Wien aufs Konservatorium nimmt – sie weiß es.
Mit ihrem unterhaltsamen Debütroman „Liebwies“ gewann Irene Diwiak 2017 fast den Österreichischen Buchpreis. Gisela, der man als Nachnamen der Einfachheit halber den ihres Dorfes gab, ist Diwiaks Strafe für all jene, die sich von Schönheit blenden lassen. Gisela ist Chucky, die subtile Mörderpuppe.
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