Kinshasa ist die Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. Eine pulsierende Metropole mit aufstrebender und doch verarmter Kunst- und Kulturszene, ein faszinierendes System funktionierenden Nichtfunktionierens am Ufer des unersättlichen Kongoflusses. Martin Thomas Pesl schildert Eindrücke aus der rauschhaften Realität von Afrikas drittgrößter Stadt.
„Le fleuve“, sagt Mega Mingiedi, Taxifahrer und Künstler. Nach vier Tagen in Kinshasa taucht im Rahmen einer Stadtrundfahrt endlich ganz kurz der Kongofluss auf. Dafür, dass er Lebensader und Nemesis dieser heißen, aufregenden, anstrengenden Zwölf-Millionen-Stadt ist, bekommt man ihn kaum zu Gesicht. Als einen einzigen unübersichtlichen Markt erlebt man Kinshasa zunächst, mit hupenden, einander waghalsig schneidenden Autos, die trotz Rechtsverkehrs ihre Lenkräder nicht selten auf der rechten Seite haben, mit Menschen, die Pyramiden aus Wasserflaschen oder hartgekochten Eiern auf dem Kopf balancieren und todesmutig auf die Straße laufen, um den Menschen in den Autos ihre Waren in Tüten mit Barack-Obama-Konterfei zu verkaufen oder als Polizistin etwas Geld entgegenzunehmen, einen Vorschuss für künftige Gefälligkeiten. Dass sie eine Stadt an Afrikas wasserreichstem und der Welt neuntlängstem Fluss ist, weiß Kinshasa erfolgreich zu verschweigen.
„Der Kongofluss braucht andere Flüsse nicht zu beneiden“, heißt es im Langgedicht Der Fluss im Bauchdes Schriftstellers Fiston Mwanza Mujila. „Er besitzt ihren Schatz, ihre Erektion und ihre Heftigkeit, um euch Angst einzujagen.“ An den meisten Stellen der Stadt ist er verbaut oder bewusst versteckt worden, weil er angeblich Unglück bringt. Er trennt die Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongovon ihrer Schwesternstadt Brazzaville, ihrerseits Hauptstadt der Republik Kongo. Begrifflichkeiten wie „Republik“ und „demokratisch“ sind hier relativ zu betrachten. In der DRK herrscht seit vermutlich gefälschten Wahlen im vergangenen Winter eine trügerische Ruhe vor dem potenziellen Sturm, Kongo-Brazzaville gilt seit Jahrzehnten als „gut funktionierende Diktatur“.
Dort, wo man ihn dann sieht, wirkt der Kongofluss oft gar nicht wie ein Fluss. Er ist so breit, dass man ihn für einen See, ja den Ozean halten könnte. An wieder anderen Orten könnte es sich genauso um die Donau handeln. Bei der Bar Chez Tintin zum Beispiel: Da sind Plastikstühle am Ufer aufgestellt, Bier wird serviert, kleine Ziegen hüpfen idyllisch über die Felsen, und unweit eines ziemlich reißend aussehenden Wasserfalls baden Menschen im schlammbraunen Wasser oder schippern in einem Einbaum auf und ab. Sobald sie weiße Besucher sehen, wollen sie sie zu einer kleinen Tour überreden. Andere bleiben distanzierter. „Mundele!“, rufen sie laut in einer Mischung aus Abscheu und Erschrecken, das ist Lingala für „Weißer“. Wen wundert’s beim Blick in die Kolonialgeschichte?
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