„Die Hermannsschlacht“: Mit seiner ersten Neuinszenierung als Burgtheater-Direktor tut Martin Kušej weder sich noch Autor Heinrich von Kleist einen Gefallen
Martin Kušej ist zufrieden mit seinen ersten zweieinhalb Monaten als Direktor des Burgtheaters. Die Auslastung liege derzeit sogar ein bisschen höher als in der Vorsaison, berichtete er bei einem Pressegespräch vor der Premiere seiner neuen Inszenierung, und er werde in der Hauptstadt freundlich aufgenommen.
Das Wiener Publikum konnte seit Mitte September bisher vier Inszenierungen des Kärntners sehen, eine Wiederaufnahme aus dem Jahr 2008 und drei Übernahmen aus dem Münchner Residenztheater. Das Kriegsstück „Die Hermannsschlacht“ von Heinrich von Kleist bildet nun die Grundlage seiner ersten neuen eigenen Arbeit als Direktor des Hauses. Dafür, dass Kušej seine Intendanz nicht mit einer eigenen Neuinszenierung eröffnete (sondern mit einer von Ulrich Rasche), wurde ihm von den Medien Teamgeist bescheinigt. Im Nachhinein kann man sagen: Vielleicht ahnte der Hausherr, dass er sich mit dieser „Hermannsschlacht“ keine Freunde machen würde.
Finster und mystisch umwölkt, gewalttätig und von einer geschmacklosen Lust an Vergewaltigungen der wenigen Frauenfiguren geprägt, hätte ihm die Inszenierung vor ein paar Jahren vielleicht einen saftigen Skandal eingebracht. Das Publikum 2019 verfolgte den von bedeutungsschweren Nachdenkpausen und artifiziellen Bildern durchsetzten Abend eher mit wachsendem Desinteresse. Und das, obwohl Kušejs Lesart des Hauptcharakters durchaus zeitgemäß ist. Markus Scheumann spielt ihn als berechnenden, kühlen Machtmenschen mit der Zielstrebigkeit eines Sebastian Kurz. Doch ein kühler, unsympathischer Titelheld macht eben keinen mitreißenden Theaterabend aus einem sperrigen Strategiestück.
Das Interessanteste an „Die Hermannsschlacht“ ist seine Rezeptionsgeschichte. Der Titel bezieht sich auf die Schlacht im Teutoburger Wald im Jahre 9 n. Chr., auch Varusschlacht genannt, zwischen den Römern und diversen Germanenstämmen unter der Anleitung des Cheruskerfürsten Arminius (Hermann). Als Kleist das Drama 1808 schrieb, wollte kein Theater es aufführen, weil es sich zu eindeutig auf die jüngst erfolgte preußische Niederlage gegen das napoleonische Heer bezog. Seine Blütezeit in Deutschland erlebte „Die Hermannsschlacht“ unter den Nationalsozialisten. Sie glorifizierten Hermann als Freiheitshelden, der die deutschen Völker gegen den Feind eint. Folglich war das Stück nach dem Krieg verpönt, bis Claus Peymann ihm in seiner Bochumer Inszenierung mit Gert Voss und Kirsten Dene, die er auch ans Burgtheater mitnahm, einen neuen Dreh verpasste und Hermann als trickreichen Partisanenführer malte.
Martin Kušej macht die Entnazifizierung gewissermaßen wieder rückgängig, wenn auch natürlich mit negativem Vorzeichen.
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