Bevor Kay Voges Ende 2020 als Direktor des Wiener Volkstheaters startet, zeigt er im Burgtheater sein neues Stück über den Weltuntergang. Ein Gespräch über virtuelle Welten, Todestrieb und Käsekrainer
Vor einem halben Jahr kannten Kay Voges hierzulande nur eingefleischte Theaterfans. Der gebürtige Düsseldorfer (47) leitet das Schauspiel Dortmund und führte bisher außerdem in Hamburg, Stuttgart und Berlin Regie. Anfang Juni kam Voges gleich in doppelter Mission nach Wien: Er begann, seine erste Regiearbeit am Burgtheater vorzubereiten, und er wurde als künftiger Direktor des Volkstheaters vorgestellt.
Bis zur neuen Volkstheater-Ära ist noch etwas Zeit, da das Haus 2020 zunächst generalsaniert wird. „Dies Irae – Tag des Zorns“ hingegen feiert bereits am 19. Dezember im Burgtheater Premiere. Zu erwarten ist ein spektakuläres „Totaltheater“ mit modernstem Ton- und Videoeinsatz. Denn, wie Voges’ langjährige Kostümbildnerin und Ehefrau Mona Ulrich verrät: „Kay kann nicht klein.“ Zudem ist Voges in der deutschsprachigen Szene für seine Bemühungen bekannt, das Theater ins Zeitalter der Digitalisierung zu führen.
Steffl: Herr Voges, warum wollen Sie die virtuelle Welt auf die Bühne bringen?
Kay Voges: Reale und virtuelle Welt – das war schon immer ein Thema des Theaters. Da erschien Hamlets Vater als Geist auf der Bühne, da wurden Träume wahr und Götter stiegen herab. Neu ist, dass sich unser Leben im realen Raum abspielt und wir gleichzeitig mit anderen, von uns entfernten realen Räumen verbunden sind. Wir können skypen, und wenn Herr Trump tweetet, kriegen wir sofort mit, wie in Deutschland der Aktienkurs fällt. Mein Anspruch ist, eine Theaterkunst zu machen, die ein Sinnbild unserer Gegenwart sein kann. Ich muss also über die Phänomene unseres digitalen Zeitalters erzählen und mich dafür eben auch seiner Werkzeuge bedienen.
Hierzu haben Sie in Dortmund die Akademie für Theater und Digitalität gegründet. Was ist das?
Ein Ort, wo Theaterschaffende mit Computernerds gemeinsam forschen können. Theaterarbeit bedeutet etwa acht Wochen Proben. Wenn man dabei aber mit neuen Technologien arbeitet, ist nicht nur die Premiere eine Art Prototyp, sondern man muss dafür auch neue Netzwerke aufbauen und Algorithmen schreiben. Da sind acht Wochen zu wenig. Auch das Geld, das dafür nötig ist, haben Theater oft nicht. Wenn man forscht, muss man auch scheitern dürfen. Meine Akademie soll für dieses Risiko Gelegenheit bieten.
Was wird erforscht?
Wie kann ein Raumklang verbessert werden? Wie fängt man Bewegungen von Tänzern ein, um sie als Avatare in Echtzeit auf der Bühne präsentieren zu können? Wie verknüpft man Virtual Reality oder Augmented Reality mit dem Live-Spiel von Darstellern? Und vor allem: Wie kann künstliche Intelligenz zu einer Spielpartnerin werden? Also kann man mit Robotern zusammen Theater spielen?
In Ihrem Stück „Dies Irae – Tag des Zorns“ geht es um Szenarien des Weltuntergangs. Was werden wir auf der Bühne sehen?
Großes Schauspielertheater, aber auch großes Musiktheater. Es wird Film, Gesang und Tanz geben. Ein bisschen möchte ich das Stück auch als Installation verstehen. Meine Hoffnung ist, dass wir ein Totaltheater kreieren, bei dem verschiedene Kunstformen miteinander ins Gespräch kommen und ein Panorama aufmachen – eine Reise zwischen Liebe und Tod, zwischen Endzeitangst und Schönheit.
Was fasziniert Sie persönlich am Weltuntergang?
Ich bin in den Siebzigern geboren und während des Kalten Krieges und der Angst vorm Atomkrieg aufgewachsen. Jetzt prophezeit man wieder das Ende der Menschheit, wegen der Erderhitzung oder auch durch künstliche Intelligenzen. Aber schon die Mayas haben vor Tausenden von Jahren den Weltuntergang herbeigeredet. Wozu dienen diese Szenarien? Der Revolution oder der Maßregelung?
Wissen Sie schon die Antwort?
Wir haben die Proben mit einer Hypothese begonnen: Der Tod macht uns individuell Angst. Daraus machen wir mithilfe apokalyptischer Erzählungen eine kollektive Angst, damit wir nicht so alleine sind. Die Schönheit des Schrecklichen spielt dabei eine Rolle. Todesangst und Todestrieb existieren nebeneinander. Fallschirmspringen zum Beispiel gibt ein Gefühl der Todesnähe, ohne dass man wirklich stirbt.
Es heißt ja: Wenn die Welt untergeht, komm nach Wien, da passiert alles 20 Jahre später. Sie verbringen seit Juni viel Zeit hier. Trifft der Spruch zu?
Ich ziehe ja gerade aus Nordrhein-Westfalen weg, wo wir seit zwei Jahren das Rauchverbot haben. Ich dachte, in Wien dürfe ich noch, aber jetzt ist es auch hier soweit. Also nein, die Stadt ist nicht verschlafen, im Gegenteil: Ich staune vor ihrer Vielfalt und ihrem Reichtum. Das Kulturangebot ist so aufregend, dass ich gar nicht alles kennenlernen kann. Dabei wollte ich doch bis zu meinem Anfang am Volkstheater Wien ein bisschen verstanden haben.
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