Thorleifur Örn Arnarsson inszeniert seine vielbeachtete „Edda“ noch einmal fürs Burgtheater
Das Programmheft enthält ein Glossar mit Begriffen von Asen bis Yggdrasil, die Besetzungsliste führt für die meisten der zwölf Spielerinnen und Spieler gleich mehrere Rollen an. Obendrein beginnt der Abend im blickdichten Bühnennebel mit isländischem Sprechgesang. Kein Wunder, dass das Publikum erleichtert auflacht, wenn Dietmar König im Bärenkostüm nach einer halben Stunde das epische Geschehen unterbricht und in nüchternem Ton Hintergrundinformationen verspricht. Ja, „Die Edda“ ist kompliziert.
Das gilt auch für die Entstehungsgeschichte der Produktion, die nun im Burgtheater Premiere hatte. Der isländische Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson und sein Ko-Autor Mikael Torfason nahmen sich mit dem Ensemble des Schauspiels Hannover drei Monate Zeit, um eine Bühnenfassung altisländischer Sagen zu entwickeln. Leicht war das schon deshalb nicht, weil es zwei „Eddas“ gibt: eine „Lieder-Edda“ und eine „Prosa-Edda“, beide aus dem 13. Jahrhundert. Sie bieten keine lineare Erzählung, sondern einen wilden Haufen an Geschichten und Figuren, ähnlich der griechischen Mythologie oder der Bibel – auf beide wird in der Inszenierung mehrfach verwiesen. Auch ist es nicht zu viel gesagt, dass es in der „Edda“ schlichtweg um alles geht, um den Anfang und das Ende der Welt. Eingangs ziehen die Bühnenarbeiter einen Baumstamm hoch, der fortan über der Bühne schwebt. Er steht für die Weltesche Yggdrasil, die den Kosmos verkörpert.
Im März 2018 kam „Die Edda“ in Hannover heraus und spaltete Publikum und Kritik. Während einige die theatrale Wucht feierten, taten andere diese als kraftmeierisch ab und stießen sich am uneinheitlichen Erzählstil. Jedenfalls erntete Regisseur Thorleifur (das Isländische verwendet keine Familiennamen) viel Aufmerksamkeit und den Theaterpreis „Der Faust“. Burgtheater-Intendant Martin Kušejs ließ das Regieteam die Inszenierung mit dem hiesigen Ensemble neu erarbeiten. Alle Rollen wurden neu besetzt, nur der Live-Musiker Gabriel Cazes reiste aus Hannover mit. Nach eigenen Angaben entstanden dabei neue Szenen, insgesamt ist der Abend aber um 45 Minuten kürzer geworden.
Zur Pause kann man beide Seiten der Rezeption nachvollziehen. Es scheint, als wären die Beteiligten vordergründig damit beschäftigt, des uferlosen Stoffs Herr zu werden, und als sei ihnen dazu jedes Mittel recht. Es ist ein Abend der hemmungslosen Kontraste, der sich ständig selbst den Boden unter den Füßen wegzieht: Kostüme, Drehbühne, Musik und Lichtstimmungen schaffen eine Fantasy-Realität, die man gerne bereit ist, im alten Island anzusiedeln. Demgegenüber stehen ulkige Einlagen wie die Reise des Schelms Loki (Florian Teichtmeister) zu den Zwergen, die sich politisch korrekt verbitten, so genannt zu werden. Der Humor scheut keine Peinlichkeit, hilft dabei aber, den Stoff zugänglicher zu machen, wie auch Dietmar Königs Erklärbär-Nummer beweist.
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