In meinem 2016 erschienenen „Buch der Schurken“ versammelte ich 100 der genialsten Bösewichte der Weltliteratur in einem Minilexikon. Einige blieben dabei auf der Strecke. Schändlicherweise. Hier begleiche ich nach und nach die schurkische Schuld.
Die Bösen sind bei Minna Canth normalerweise die Männer. Als frühe finnische Feministin lässt sie kein gutes Haar an ihnen: Sie wollen nur das Eine, sind treulose Erpresser, Trinker und Betrüger. An den eigenen Geschlechtsgenossinnen kritisiert Canth vor allem die Naivität, mit der sich die kleingeistigen Kleinbürgerinnen ihrem vermeintlichen Schicksal fügen und den Unholden unterordnen.
Einer solchen, der Ich-Erzählerin Liisi, setzt sie in „Agnes“, einer ihrer wenigen nicht dramatischen Erzählungen, Agnes Werther entgegen. Diese Frau heißt zwar so, als hätte das Lamm Gottes den größten Romantiker der Welt geheiratet, schwört aber Frömmigkeit und Ehe gleichermaßen ab. Warum? Weil sie die Welt gesehen hat. Und die Welt, das ist aus finnischer Sicht im 19. Jahrhundert: St. Petersburg. Von dort wird sie nach dem kurzen Heimatbesuch in der Provinz mit ihrem Gönner, einem reichen Russen, gen Italien reisen.
Nun klingt das ja an sich gar nicht böse, sondern frisch, frei, fortschrittlich. Nur schafft es Agnes während ihres kurzen Aufenthalts, die Welt ihrer alten Schulfreundin zu zerstören – durchaus bewusst und gefinkelterweise ohne, dass sie sich etwas Konkretes zuschulden kommen lässt.
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