Hanya Yanagiharas Debütroman „Das Volk der Bäume“ erscheint auf Deutsch. Er ist überraschend anders als das Buch, das sie berühmt machte
Mit ihrem 2015 erschienenen Wälzer „Ein wenig Leben“ landete Hanya Yanagihara einen Welterfolg. Der Roman handelt von einer Gruppe von Freunden in einem aufgeklärten, zeitlosen New York, wo Rassismus und Homophobie praktisch kein Thema sind. Erschütternd bis herzzerreißend ist die Geschichte trotzdem, wegen der Missbrauchsvergangenheit eines der Hauptcharaktere und seiner eindringlich geschilderten Traumatisierung. In Stephan Kleiners deutscher Übersetzung kam das Buch im Hanser Verlag 2017 heraus, als man dem Obama-Amerika schon nachweinen musste.
Kleiner hat sich für Hanser nun auch Yanagiharas „Das Volk der Bäume“ aus dem Jahr 2013 vorgenommen. Im Gegensatz zur existenziellen Allgemeingültigkeit des Nachfolgers, der durchaus das Label „great American novel“ verdient, lässt der Klappentext hier eher eine Abenteuergeschichte im Stile Jules Vernes, ja fast einen Hauch Science-Fiction (im Wortsinne) vermuten. Es geht um einen Wissenschaftler, der entdeckt haben will, wie ein primitives Volk auf einer Pazifikinsel durch Verzehr einer Schildkrötenart sein Leben verlängert.
Eine Art Blitzzusammenfassung des Plots liefern gleich die ersten beiden Romanseiten: Zwei Zeitungsmeldungen berichten von der Festnahme und späteren Verurteilung des 71-jährigen Mediziners Norton Perina wegen Verdachts auf Kindesmissbrauch. Man erfährt, dass ihm für die Erstbeschreibung eines die körperliche Alterung verlangsamenden Syndroms der Nobelpreis verliehen wurde und dass er im Zuge seiner Besuche auf der Insel Ivu’ivu nach und nach 43 Kinder adoptiert und zu sich in die USA geholt hat.
Den Hauptteil der knapp 500 Seiten bilden dann Perinas im Gefängnis verfasste Memoiren. Er geht verhältnismäßig kurz auf Kindheit und Studium ein, bevor er beschreibt, wie es dazu kam, dass er 1950 als junger Arzt an einer Expedition des Anthropologen Paul Tallent teilnahm.
Ausführliche Fußnoten eines „Herausgebers“ mit Literaturhinweisen täuschen nicht darüber hinweg, dass diese Forscher ebenso erfunden sind wie die mikronesische Insel Ivu’ivu. Von wahren Begebenheiten inspiriert ist die Geschichte dennoch: Daniel Carlton Gajdusek erhielt den Medizin-Nobelpreis für seine Beschäftigung mit der Prionkrankheit Kuru, die mit Creutzfeldt-Jakob zusammenhängt. Er studierte dazu ein Volk auf Papua-Neuguinea und adoptierte zahlreiche Kinder der Eingeborenen. Ein Jahr saß er wegen Kindesmissbrauchs in Haft, danach zog er sich in den finsteren Norden Norwegens zurück.
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