In meinem 2016 erschienenen „Buch der Schurken“ versammelte ich 100 der genialsten Bösewichte der Weltliteratur in einem Minilexikon. Einige blieben dabei auf der Strecke. Schändlicherweise. Hier begleiche ich nach und nach die schurkische Schuld.
In der Fabelwelt braucht es vor allem zwei Dinge, um zu bestehen: eine gewisse Schläue und eine starke Blase. Reineke Fuchs kommt damit seit über tausend Jahren durch, ob die Geschichten über ihn nun auf Latein oder Flämisch, Deutsch oder Französisch erklingen, ob sie von unbekannten Anonymi oder von Dichtergrößen wie Goethe verfasst sind. Letzterer schildert, wie sich der Fuchs für den finalen Kampf gegen den Wolf die Haare abrasiert, um stromlinienförmiger zu werden. „Und benetzte behende den rauen Wedel mit seinem / Ätzenden Wasser“, heißt es dann. Und: „Schon viele Geschöpfe hatten die schändliche Kraft des ätzenden Wassers erfahren.“
Wer urintelligent und zudem auch noch urinintelligent ist, wird der Versuchung des Bösen nicht widerstehen können. Reineke Fuchs ist ein Trickster, wie er im Buche steht. Und er steht eben in vielen Büchern: Die erste erhaltene Tierfabel, die Ecbasis captivi(1040), gibt ihm zwar noch keinen Namen, aber der schlagfertige Intrigant kommt schon deutlich zutage. Als der Wolf vorschlägt, den Fuchs für sein verspätetes Aufkreuzen bei der Krisensitzung zur Heilung des erkrankten royalen Löwen zu hängen, schlägt er Wolfshaut als Heilmittel vor.
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