Ein lange verschollenes absurdes Stück von Wolfgang Bauer wird verspätet und doch zur rechten Zeit uraufgeführt
Erinnerungen an „Niemand“ werden wach. Das Theaterstück von Ödön von Horváth war als Typoskript 2015 versteigert und ein Jahr später im Theater in der Josefstadt uraufgeführt worden – davor hatte es jahrzehntelang als verschollen gegolten. Ebenfalls 2015 kam es zu einem weiteren Sensationsfund aus der Dramatik. Auch hier war der Autor Österreicher und schon tot, der Text über ein halbes Jahrhundert alt und seine Existenz an sich bekannt, das Skript selbst aber unauffindbar gewesen. Offenbar hatte Wolfgang „Magic Wolfi“ Bauer, allmählich im Berühmtwerden begriffen, sein erstes abendfüllendes Theaterstück „Der Rüssel“ aus der Hand gegeben und nicht mehr genau gewusst, wem. Die Uraufführung erfolgt nun mit (vermutlich) 55-jähriger Verspätung im Akademietheater, der zweitgrößten Spielstätte des Burgtheaters.
Freilich ist Wolfgang Bauer nicht das literaturhistorische Kaliber eines Ödön von Horváth. Bevor er mit den Szenestücken „Magic Afternoon“ und „Change“ in den 1970ern im ganzen deutschsprachigen Raum gespielt wurde, machte sich der 1941 in Graz geborene Bauer zunächst vor allem in seiner Heimatstadt einen Namen. Obwohl er kurze Dramen schrieb, stand er dem Theater skeptisch gegenüber. Zu gut gebaut seien die meisten Stücke dieser Zeit, „sehr intellektuell und sehr politisch und von Regisseuren vergewaltigt“, wie ihn der Germanist Thomas Antonic aus einem Radiointerview zitiert. Bauers „Mikrodramen“ waren dementsprechend unaufführbar. Spannend fand er einzig das international im Entstehen begriffene „Theater des Absurden“, das sich inhaltliche und formelle Freiheiten erlauben durfte. Durch die Greuel des Zweiten Weltkriegs verstört, fühlten sich die „absurden“ Autoren Ende der Fünfzigerjahre keinem realistischen Handlungsrahmen und keiner nachvollziehbaren Figurenpsychologie mehr verpflichtet.
Der aberwitzige Plot von „Der Rüssel“ gönnt sich jedenfalls alle Freiheiten. Schauplatz ist ein Bergdorf („wahrscheinlich in Kärnten“, vermutet Regisseur Christian Stückl, dem das Burgtheater die Uraufführung anvertraut hat). Die dort ansässige Bauersfamilie Tilo spricht wie Figuren von Goethe („Gymnasialsprache“, nennt es Elfriede Jelinek). Ein Enkel, der Florian, empfindet eine so starke Sehnsucht nach dem Fremden und insbesondere Afrika, dass sich das Gipfelkreuz tatsächlich eines Tages in eine Palme verwandelt, tropische Hitze aus- und ein Elefant in das Bergdorf einbricht. Dieser steckt seinen Rüssel durch das Stubenfenster und bleibt dort stecken. Florian lässt sich und den Elefanten daraufhin göttlich verehren, bis der Kaplan Wolkenflug dem Spuk ein Ende macht und das Tier erschießt. Daraufhin wird es wieder eisig, Florian landet am Galgen.
Die bekanntesten Vertreter des absurden Theaters waren Samuel Beckett und Eugène Ionesco, letzterer Autor des Stückes „Die Nashörner“, in dem sich die handelnden Personen allmählich in die titelgebenden Dickhäuter verwandeln. „Der Rüssel“, da ist sich die Forschung einig, ist von den „Nashörnern“ inspiriert. „Der Ionesco war ja sogar einmal in Graz“, erinnert sich Alfred Kolleritsch, Herausgeber des Grazer Literaturmagazins „manuskripte“, in dem der neuentdeckte „Rüssel“ 2015 erstmals abgedruckt wurde, bevor der Ritter-Verlag ihn als Buch herausgab und Sessler sich der Aufführungsrechte annahm. „Der Wolfi hat den Ionesco in die berühmte Haring-Stube gezerrt. Seine Frau hat sich aufgeregt, weil er so einen Rausch gehabt hat.“
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