In ihrer zweiten Regiearbeit begibt sich die Schauspielerin Ingrid Lang in die Abgründe des Sadomasochismus
In der Küche möchte sie lieber nicht fotografiert werden, sagt Ingrid Lang. „Dort passieren schaurige Dinge.“ Die 40-jährige bezieht sich dabei auf ihre eigene Inszenierung des Theaterstücks „Orgie“ von Pier Paolo Pasolini und auf das von Peter Laher entworfene Bühnenbild, das drei zeitlose Wohnräume nebeneinanderstellt: Bad, Schlafzimmer und Küche. Auf den ersten Blick harmlos, strahlt die Bühne tatsächlich etwas Unheimliches aus.
Außerdem behauptet sie mehr Budget, als eine Mittelbühne wie das Theater Nestroyhof Hamakom normalerweise zur Verfügung hat. Tatsächlich stammt der Vintage-Plattenspieler aus Ingrid Langs Zuhause und die sonstige Einrichtung aus einer Räumung im privaten Umfeld. „In der Badewanne ist schon einmal ein Mensch gestorben“, betont Lang mit einem wohligen Schaudern, setzt sich hinein und lässt sich ablichten.
Schon als kleines Kind sang sie gedankenverloren vor sich hin und wollte Schauspielerin werden. In ihrer Heimatsstadt Bruck an der Leitha gehörte sie einer Laienspielgruppe an, bevor sie nach der Matura ein paar Jahre in Wien jobbte. Dann brauchte sie Abstand von Österreich und bewarb sie sich an ostdeutschen Schauspielschulen. „Es hieß, die Ostschulen seien besonders gut, was Technik betrifft“, begründet sie diese Wahl. „Das tat mir gut, weil ich eh so eine verblasene Persönlichkeit bin, die im Psychologischen hängt.“ Es wurde die Hochschule Leipzig, wo sie 2001 ihren Abschluss machte.
Nach zwei Festengagements in Meiningen und Bregenz und einer zweijährigen Karenz nach der Geburt ihres Sohnes wusste Lang, dass sie in Wien bleiben und so frei wie möglich arbeiten wollte. Dass man ihr als Ensemblemitglied ungefragt Rollen zugewiesen hatte, störte sie sehr, auch dass sich viele Regisseure zu wenig intensiv auf ihr eigenes Konzept einließen. Zudem hatte sie das Gefühl, sich als Schauspielerin ständig selbst zu beobachten – wie eine Regisseurin eben. Die Mitarbeit an Ernst Moldens Album „weidafoan“ und Gesangsauftritte bei seinen Konzerten boten eine gewisse Befreiung.
Nach einzelnen Rollen am Hamakom nahm dessen Leiter Frederic Lion sie ins Leitungsteam auf, betraute sie mit der Regie bei kleineren Lesungen und schlug ihr schließlich vor, erstmals ein Stück zu inszenieren. Sie könne machen, was sie wolle, auch das am Haus zentrale Thema der jüdischen Identität sei nicht verpflichtend. Nur mehr als drei Schauspieler könne man sich nicht leisten.
Genauso viele sieht „In weiter Ferne“ der britischen Autorin Carol Churchyll vor, das in drei lakonischen Szenen ein Abdriften der Gesellschaft in Krieg und Anarchie skizziert. Lang ergänzte das Dramolett durch kraftvolle Bilder und schuf so eine beklemmende Atmosphäre in einer soghaften Ästhetik, die derzeit nirgendwo sonst in Wien zu erleben ist. Die Kritik war verblüfft bis begeistert, die Zuschauer kamen, die Inszenierung wurde für einen Nestroypreis und für das virtuelle Theatertreffen der Plattform Nachtkritik.de nominiert. So entdeckte Ingrid Lang mit 40 ihre Berufung: Regie. „Vielleicht hätte ich das schon viel früher machen sollen“, meint sie und nimmt Schauspielanfragen jetzt nur mehr in Ausnahmefällen an.
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