Orgie – Ingrid Lang nähert sich am Wiener Hamakom-Theater Pier Paolo Pasolini mit schonungslosem Realismus
Wien, 9. Mai 2017. "Skandalisieren, verraten muss man die Welt, sonst verliert sie sich doch in ewiger Wiederholung", sagt die Frau in ihrem letzten Monolog, und es klingt wie die längst im Raum stehende Rechtfertigung für alles, was hier geschieht. Auch dafür, dass dieses Stück überhaupt aufgeführt wird. "Orgie" entwirft in bildhaften, sexuell expliziten Sätzen eine Normwelt und gibt sie stolz der Schändung preis. Trotz des zeitlosen Themas wurde Pier Paolo Pasolinis Tragödie oft als undramatisches "Hörspiel" abgetan. Dass es im Gegenteil mit einer erschreckend plastischen Handlung aufwartet, beweist Ingrid Lang nun am Wiener Hamakom-Theater.
Ein Normalo auf Abwegen
Mit ihrer ersten Inszenierung – des dystopischen Dramoletts "In weiter Ferne" von Carol Churchyll – landete die gelernte Schauspielerin hier 2016 einen Überraschungserfolg. Für das Folgeprojekt hat sie eines der sechs Stücke entmottet, die der skandalumwitterte italienische Filmer Pasolini 1966 im Krankenbett für ein utopisches Theater nach seiner eigenen radikalen Vorstellung entwarf. Zu Beginn von "Orgie" erklärt ein frisch Erhängter, er sei ein Mensch wie du und ich gewesen, "auf der Seite der Macht", aber "nicht Konformist genug (...), um von der Macht guten Gebrauch zu machen." Man möchte Jakob Schneider den scheuen Normalo nur zu gern abkaufen, wie er sich verschreckt von einer Assistentin in Schwarz entkleiden, von ihrem Kollegen mitten im Satz das Mikro wegnehmen lässt. Der stets fragende Ton seiner Monologe weicht die Anklage des "Andersartigen" auf.