Klug und nah dran an der Gegenwart: wie das bezaubernde Kollektiv YZMA aus Theater angewandte Philosophie macht
In der Mitarbeiterküche des Landestheaters Niederösterreich gibt es nur laktosefreie Haltbarmilch mit reduziertem Fettanteil. „Sie ist seit zwei Wochen abgelaufen“, stellt Florian Haslinger fest. Er ist Schauspieler beim Theaterkollektiv YZMA, das in seiner fünften Produktion erstmals mit den Bedingungen des institutionalisierten Theaterbetriebs konfrontiert ist. Neben der suboptimalen Milchsituation sind das: feste Probenzeiten, erhöhter Arbeitsdruck, die Zusammenarbeit mit Schauspielern aus dem Ensemble und die Notwendigkeit, einen fertigen Bühnenbildentwurf zu präsentieren, Wochen bevor so etwas wie ein spielbares Stück greifbar ist.
Das Kollektiv um die Regisseurin und Philosophiestudentin Milena Michalek versucht, diese Beschränkungen positiv zu sehen und, wie die eigentlich in Wien geborene Michalek in lupenreinem Bundesdeutsch sagt: „daraus ’ne Kraft zu machen“. Ihr Stoff verlangt schließlich auch einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft: Im Auftrag des Landestheaters erarbeiten YZMA einen Abend basierend auf Thomas Morus’ 501 Jahre altem Dialogroman „Utopia“.
Die Gruppe fand 2014 zusammen. Michalek war mit ihrem Freund, dem Musikwissenschaftsstudenten Karl Börner, aus Hannover wieder nach Wien gezogen. Die beiden hatten Lust, beim alljährlichen Nachwuchswettbewerb des Theaters Drachengasse ein Konzept zum Thema „Romeo und Julia sind tot“ einzureichen. „Ich liebe mein Studium“, sagt Michalek. „Aber mir fehlt eine praktische Übersetzung des Inhalts. Ich frage mich immer: Wie kann eine Theorie, die in ihrer Schriftlichkeit verfangen ist, durch den Körper durch?“
Mehr im Falter 9/17
YZMA in St. Pölten: Mit verzweifelter Energie auf der Suche nach dem echten „Utopia“
(Kritik im Falter 10/17)
Das freie Wiener Theaterkollektiv YZMA arbeitet mit Improvisation und philosophischen Grundlagentexten. Ein solcher ist Thomas Morus’ Roman „Utopia“ (1616), der eine ideale Gesellschaft friedlichen Zusammenlebens entwirft. Die Produktion ist YZMAs erste Auftragsarbeit des Landestheaters Niederösterreich, das damit das Wagnis eingeht, eine freie Gruppe in die eigenen festen Strukturen zu integrieren.
Der Clash der Kulturen geht auf, die Ensemblemitglieder Zeynep Bozbay und Tim Breyvogel bilden mit Florian Haslinger und Johanna Wolff aus dem YZMA-Kollektiv ein perfektes Team. Ihre Suche nach der Utopie, basierend auf spontan entstandenen Texten, sieht so aus: Drei eifrige Jungdetektive mit voluminösen, graumelierten Frisuren und im bunten Steampunk-Look jagen eine ausgeliehene DVD über „Utopia“ und versuchen sich gemeinsam mit einer Art Morus-Reinkarnation (Breyvogel) an Basisdemokratie und dem Teilen paradiesischer Früchte. Die Unternehmung, das zeigt die verzweifelte Energie des Abends, ist ebenso zum Scheitern verurteilt wie manche Initiativen in Niederösterreich mit utopischem Anspruch. Unter anderem im Stift Heiligenkreuz und einer kommunenartigen Wohngemeinschaft hat YZMA Interviews mit den Verantwortlichen geführt, die auf den in die Aufführung eingebauten Videos eher fanatisch wirken.
Es sind eben keine guten Zeiten für die Zukunft, erst gilt es, der Gegenwart beizukommen. So bleibt Regisseurin Milena Michalek abschließend nur, Zenyep Bozbay (die fantastisch ist, wie ihre drei Kollegen) aus Meryl Streeps Anti-Trump-Preisrede zitieren zu lassen. Ein ernüchternd unterhaltsamer Abend.