Hunter S. Thompson
Angst und Schrecken in Las Vegas
Deutsch von Teja Schwaner
Heyne, € 9,20
Ich habe Angst. Ich bin irre. Diese Vegas-Kultur hat mich umgehauen. Was zum Teufel mache ich hier draußen? Das ist nicht mal die Geschichte, an der ich arbeiten sollte. Mein Agent hatte mich davor gewarnt. Alle Vorzeichen waren negativ – besonders der bösartige Zwerg mit dem rosa Telefon in der Polo Lounge.
Aaaaaaaah! In Las Vegas kann man schon leicht paranoid werden. „Wo sind all die Blumen hin?“, summt es einmal hinter den riesigen Neonschildern hervor. Wenn man dann auch noch permanent high ist, multipliziert Vegas den Horrortrip ins psychedelisch Unendliche.
Niemand hat die hyperartifizielle Spielerhölle mit ihren Losern und Wahnsinnigen, ihren Seminarhotels und Luxussuiten und ein- oder mehrarmigen Banditen cooler beschrieben als Hunter S. Thompson. War ja auch sein Job als Journalist. Freilich stellt der Roman „Fear and Loathing in Las Vegas“ (korrekter mit „Angst und Abscheu in Las Vegas“ zu übersetzen) die wohl ungewöhnlichste Reportage aller Zeiten dar. Der Reporter, gnadenloser Ich-Journalist, rast high und besoffen über Nevadas Highways nach Vegas. Dort soll er zuerst über eine Motorradrallye, dann über die Narkotika-Bundeskonferenz der Bezirksstaatsanwälte und Polizisten berichten. Aber diese Aufgaben nimmt er nicht so genau. Wozu hat er denn sonst seinen Anwalt dabei? Der Samoaner Dr. Gonzo versorgt ihn (und sich) mit LSD und Co., bis den Autostopper, den sie dabeihaben, die Panik ergreift.
Panische Angst haben die rasenden Reporter selbst – erwischt zu werden. Doch obwohl sie groteske Halluzinationen von Wüstentieren in schillernden Farben erleben und sich dadurch permanent danebenbenehmen, bleibt ihre Paranoia unbegründet. Der Vietnamkrieg wütet – das Buch spielt 1970 –, und der American Dream beinhaltet zu dieser Zeit einfach einen gewissen Wahnsinn. Das nach Drogenexperimenten ramponierte Hotelzimmer erklären sie der Zimmerfrau mit streng geheimen Ermittlungen, und wenn der Verkehrspolizist sie beim Rasen erwischt, wird lehrbuchgemäß ein Protokoll abgespult, wie man am besten davonkommt. Das ist der praktische Mehrwert, wie man ihn von Magazinjournalismus erwartet!
Freilich ist das fiktionalisiert, nichts davon, ähem, beruht auf der Wahrheit. Aber der berüchtigte Substanzenkenner Thompson wird schon genug Selbsterfahrung gehabt haben, aus der er sich bedienen konnte. „Angst und Schrecken in Las Vegas“ ist ein Fest der Narrenfreiheit des sogenannten Gonzo-Journalismus und nebenbei eine blumige Schmähschrift auf eine schreckliche Stadt.
HORRORTRIP
Ein Streifzug durch die Welt der Herren Duke und Gonzo
Der Autor
Hunter Stockton Thompson, der sich wie seine Hauptfigur auch Raoul Duke nannte, wurde 1937 geboren. Als Sportreporter kam er zum Schreiben, aber schon bald geriet er in den Kreis um Beat-Poet Allen Ginsberg. Sein Bericht über die Hell’s Angels in Buchlänge machte ihn berühmt, der Roman „Fear and Loathing in Las Vegas“ berüchtigt. Auf seine alten Tage trat er herrlich respektlos („Wer wählt schon diese verlogenen Scheißköpfe?“) als Politkommentator auf und stellte sich einmal sogar selbst als Sheriff in seinem Heimatbezirk in Colorado auf. Im Februar 2005 beging er Selbstmord. Heute wäre er vermutlich eine Twitter-Ikone.
Der Journalismus
Weil er seinen Artikel nicht fertigbekam, schickte Thompson einmal die Rohnotizen an die Redaktion. „Es ist reines Gonzo“, sagte sein Kollege. Seitdem – und verstärkt durch den ein Jahr später erscheinenden Roman, in dem der Anwalt diesen Namen trägt – steht dieser Ausdruck für die absolute Subjektivität im New Journalism: ein „professioneller Amoklauf“, wie Thompson selbst es nannte. Ein brillanter heutiger Vertreter des Stils ist Jon Ronson („Männer, die auf Ziegen starren“).
Die „Fortsetzung“
Las Vegas war pure Anarchie, schon ein Jahr später wurde es ernst (oder so). „Fear and Loathing on the Campaign Trail ’72“ griff den Titel des Erfolgsromans auf, war aber weniger berauscht. Thompson begleitete den Wahlkampf zwischen dem von ihm verhassten Vietnamkriegspräsidenten Nixon und seinem Herausforderer, dem Demokraten McGovern. „Das beste Wahlkampfbuch aller Zeiten“, fand die New York Times.
Die Comics
Ralph Steadman illustrierte die Angst und den Schrecken in beiden entsprechenden Büchern kongenial. In seinen Zeichnungen verschwimmen die Hawaiihemden tragenden Männer mit ihren eigenen Halluzinationen: hier Gesichter in verschiedenen Stadien der Vermonsterung, da über die Seiten verspritzte Tintenkleckse – oder sind es Blutflecken?
Der Film
Während man das Buch ohne Drogenkonsum am besten genießt, erträgt sich Terry Gilliams Verfilmung leichter, wenn man davor die darin empfohlenen Rezepte nachgekocht hat. Die Ästhetik der Steadman-Comics aufgreifend, aber in grellbunt, taumeln Johnny Depp und Benicio del Toro auf 180 durch den Film. Lange schmorte er in der Entwicklungshölle, 1998 kam er raus und wurde ein Flop.
SCHRECKENERREGENDES
„MANCHE MÖGEN NIXON“ – Berichte im Gonzo-Stil aus dem American Dream der Vietnam-Ära
“Alte Elefanten humpeln in die Berge, um zu sterben; alte Amerikaner begeben sich hinaus auf die Landstraße und fahren sich in riesigen Wagen zu Tode.”
“Ich ging zum Fernsehapparat und schaltete einen Kanal ein, auf dem schon Sendeschluß war – weißer Lärm in Maximal-Dezibeln, ein schönes Geräusch zum Schlafen, ein mächtiges unaufhörliches Zeichen, das alle seltsamen Geräusche übertönt.”
“Einmal auf dem Strip auf der schwarzen Liste, egal warum, und du verschwindest aus der Stadt oder du ziehst dich zurück und backst kleine Brötchen im verkommenen Niemandsland North Vegas ... im Abschaum der uncoolen Gauner, Handtaschenräuber, Straßendiebe, Drogenkrüppel und all der anderen Verlierer.”
“Ein Häppchen von dieser Stadt hält lange vor. Nach fünf Tagen in Vegas fühlt man sich, als ob man fünf Jahre dort verbracht hätte. Manche Leute sagen, ihnen gefällt’s dort – aber manchen Leuten gefällt ja auch Nixon.”