Heute Abend hat im Theater Drachengasse eine Produktion Premiere, die sich einer Vorankündigung entsprechend dem „Sprechen über Frauen“ widmet, den Titel „Die Kümmerinnen in: Leuchtkraftformel“ trägt und womöglich gar nichts mit dem Gendern von Texten (also quasi mit dem Binnen-I) zu tun hat – ich werde es selbst feststellen und bin schon sehr gespannt. Ich wollte diese Premiere dennoch zum Anlass nehmen, meinen Senf zu dem eh gerade wieder im Abebben begriffenen Thema dazuzugeben, das einige als „geschlechtergerechte Sprache“ bezeichnen und andere als „Kampf um die sprachliche Normalität“. Stichwort „Gender-Wildwuchs-Brief“. Stichwort „Hymnentöchter“. Ich habe 15000 Zeichen geschrieben und dann festgestellt, dass es gar nicht zu mir passt, mich groß in polemische Webdebatten einzumischen. Außerdem habe ich keine Ahnung von der historischen Entwicklung und der richtigen Terminologie in diesem Feld. Und doch hat fast alles, was ich mache, irgendwo mit der deutschen Sprache zu tun; ich muss mich damit beschäftigen. Also habe ich mir erlaubt, den Text etwas zu entpseudoprofessionalisieren, etwas einzudampfen und auf eher zusammenhanglose Punkte zu reduzieren, die aus meiner Sicht relevant sind. Ich äußere mich nicht als Verfechter einer Seite oder einer Ideologie, sondern als praktischer Sprachanwender – teils beim Verfassen eigener Texte, teils beim Lektorat der Texte anderer.
1. Übermäßige Aufregung im Zusammenhang mit dem Gendern (also der wie auch immer gearteten systematischen Kennzeichnung des Geschlechts von Personen oder Personengruppen Formulierungen) wie im Brief 800 genervter Schreibender an die Unterrichtsministerin an den Tag gelegt ist eigenartig, weil zwingend wirkungslos. Und es erhitzt nur die Gemüter einer politisch aufgeladenen Gegenseite. Zwar gendert das Ministerium in seinen eigenen Texten, aber es handelt sich ja um kein Gesetz, das es erlassen hat und an das man sich halten muss, wenn man etwas schreibt. Es steht daher allen Schreibenden (bzw. allen Publizierenden, die eine Richtlinie vorgeben) offen, es in welcher Form auch immer anzuwenden oder auch nicht.
2. Die in dem Brief angebotene und auch vom österreichischen Normungsinstitut vertretene „Lösung“, statt des Binnen-I durchgehend eine männliche und eine weibliche Form gesondert anzuführen, kann kaum ernstlich von jemandem gekommen sein, der regelmäßig Texte schreibt. Damit hat man es sich sehr leicht gemacht. Stellen Sie sich einen Text vor, in dem es nur so von Personengruppen wimmelt: Besucherinnen und Besuchern eines Museums, die von den Aufseherinnen und Aufsehern angehalten werden, die Bilder nicht zu berühren, um die Künstlerinnen und Künstler nicht zu pikieren, was sich in einer negativen Besucherinnen- und Besucherstatistik niederschlägt. Wenn ich mich bei einem Lektorat mit der Vorgabe konfrontiert sehe, in jedem Fall, in dem Personen ebenso weiblich wie männlich sein können, dies auch so zu kennzeichnen, möchte ich am liebsten mit dem Kopf gegen die Wand rennen. Mit einem solchen Text ist es nahezu unmöglich, noch etwas anderes zum Ausdruck zu bringen als den Umstand, dass die Welt der Museen aus männlichen Menschen und weiblichen Menschen besteht.
3. Dass sehr, sehr viele nach wie vor nicht gendern (sei es, weil sie es für sinnlos oder falsch halten, weil sich die Sprache in etlichen Konstruktionen dagegen sperrt oder auch weil sie es einfach nicht so gut können), zeigt, dass es sich nicht wirklich durchgesetzt hat. Auch nach mehreren Jahrzehnten ist es nicht gelungen, eine einheitliche Form zu finden, die von breiten Schreibenden- und Sprechendenschichten angenommen wurde. Journalistische Qualitätspublikationen, die einigermaßen hochfrequent erscheinen, können es sich schlichtweg nicht leisten, ihre aus verschiedensten Ecken kommenden Beiträge konsequent durchzugendern.
4. Beim Lektorieren von Texten mit dem Auftrag, konsequentes Gendern zu beachten, setze ich oft alle Tricks in Bewegung, um krude, als unlesbar verschriene Formen zu umgehen, und stelle dann fest, dass ich den Text mehr und mehr entmenschlicht habe, weil ich eben von der „Assistenz“ spreche und nicht mehr von Assistentinnen oder Assistenten. Wollen wir das?
5. Manchmal werden die männliche und die weibliche Form abwechselnd verwendet. Theoretisch eine kompromissfreudige Idee, die den „Lesefluss nicht so stört“ wie die anderen Innen-Versionen. Aber wenn dann die Rede von „Ärzten, Patientinnen, Dienstgebern und Dienstnehmerinnen“ ist, ja dann erst wäre es gerechtfertigt, im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit und politischen Korrektheit auf die Barrikaden zu steigen. Aha, Sie finden also, dass Ärzte eher männlich sind? Und die armen Kranken, die sich ihren gierigen Untersuchungsaugen unterziehen müssen, das sind eher die Frauen? – Dann formuliere es halt umgekehrt, wäre die Ad-hoc-Antwort.
6. Egal, wie man es dreht und gendert, im Kopf wird ein Film ablaufen, der mit Geschlechterverteilung zu tun hat. Das ist dann gewollt, wenn das Kommunikationsziel des Textes darin bestand, geschlechterbezogene Inhalte anzuregen. Wenn dem aber nicht so ist, hat der Text sein Thema und die Sprache ihr Ziel verfehlt, mittels Zeichen Verständigung über etwas Bezeichnetes zu schaffen. Und vor allem ist in all diesen Fällen die geschlechtergerechte Sprache eben wegen der Assoziationen, die sie weckt, das nicht, was sie sein sollte: geschlechtergerecht. Ich finde es sogar ziemlich geschlechterungerecht, Geschlechtlichkeit dort zu säen, wo keine ist, nur um sich an ein diffuses Regelwerk an Korrektheit zu halten, das man nicht unter Kontrolle hat.
7. Wenn die Ministerin den Briefschreibenden antwortet, wer Frauen sprachlich ausblende, mache sie unsichtbar, dann stimmt das meiner Meinung nach gerade nicht – nicht mehr. Wenn Sie hören: „Lehrer verdienen so schlecht“, stellen Sie sich dann wirklich vor, wie neben einer Schultafel lauter Menschen mit Brusthaaren und Penissen stehen und mit heruntergezogenen Mundwinkeln ihre leeren Hosentaschen herzeigen? Ich nicht. Ich stelle mir, wenn überhaupt, Frauen und Männer vor, und ihre Geschlechtsteile sind mir in diesem Zusammenhang relativ egal. Das war vor zehn Jahren vielleicht anders. Und geändert hat es sicherlich aufgrund all der sprachkritischen Debatten zum Thema, die in den letzten Jahren geführt wurden. Frauen sind sichtbar aufgrund der implizit in unseren Hinterköpfen sitzenden Mahnung, dass sie sichtbar sind. Eigens hervorgehoben zwangsbeglückt man sie tendenziell mit einer Überrepräsentierung, die ihnen unter Umständen mehr schadet als nutzt. Heute erweckt die mit der männlichen Form gleichlautende neutrale Form mittlerweile geschlechtlich vielfältigere Assoziationen als früher, und sei es bei vielen womöglich nur aus lauter unterbewusster Dankbarkeit darüber, dass das ihnen so verhasste Splitting oder Binnen-I vermieden wurde.
8. Es MUSS möglich sein, über Menschen zu sprechen, ohne über ihr Geschlecht zu sprechen. Einige Universitäten und andere Institutionen haben zu diesem Behufe die weibliche zur neutralen Form erklärt (generisches Femininum). Das könnte (mit wenigen Abstrichen in Fällen, bei denen es einfach keine weibliche Form gibt) funktionieren, würden es alle so machen. Innerhalb bestimmter eingeschworener Gemeinden sprachlich hoch begabter Sprachrevolutionäre funktioniert es auch. Aber das führt keinen gesellschaftlichen Wandel herbei, sondern befriedigt nur Einzelne. Niemals werden sich alle Deutschsprachigen auf das generische Femininum einigen, dazu ist es einfach nicht massentauglich genug, schon aus dem banalen Grund, dass „Leserin“ länger ist als „Leser“, also mehr Aufwand bedeutet. Und was Aufwand verursacht, das mögen die Leute nicht, also meiden sie es, wenn möglich. Der lektorische und editorische Aufwand für Publikationen von Einrichtungen, die sich auf das generische Femininum verständigt haben, an denen sich aber auch institutsferne Autoren beteiligen, muss immens sein! Das heißt nicht, dass gegenderte Texte niemals gute Texte sein können: Es bedarf nur großen Geschicks – es ist eine elitäre Angelegenheit.
9. Autocorrect will bezeichnenderweise aus „gegendert“ immer „gekentert“ machen.
10. An die Briefschreibenden: Wenn Sie gegenderte Texte für unlesbar halten, dann lesen Sie sie nicht, wenn es nicht sein muss. Und wenn es doch sein muss: Augen zu und ... Na gut, Augen auf und durch. So schlimm wird es schon nicht sein.
11. Wenn ich beauftragt werde, bei Lektoraten auf das einheitliche und durchgängige Gendern zu achten, werde ich das auch in Zukunft nach bestem Wissen und Gewissen tun und dabei die Empfehlungen des Normungsinstituts, des Duden und anderer Wörterbücher sehenden Auges missachten. Wenn ich jedoch Texte verfasse, die auf meine eigene Kappe gehen, bei deren Erstellung ich mich also nicht an bestimmte Hausregeln halten muss (beim WIENER zum Beispiel: kein Gendern; bei Texten der creativ wirtschaft austria: Gendern unter Verwendung neutralisierender Formulierungen oder des Binnen-I), werde ich, wenn ich nicht gerade genderrelevante Dinge erzählen möchte, Personengruppen in der neutralen Form angeben, um meinen Kommunikationsinhalt zu vermitteln.
12. Dass diese neutrale Form mit der männlichen ident ist, ist natürlich kein Zufall. Es ist eine historische Ungerechtigkeit, aber ehrlich gesagt gerade in Bezug auf die Geschlechter eine von den weniger schlimmen. Und halt eine, gegen die sich flächendeckend nix Wirksames unternehmen lässt, wie wir erlebt haben, da trotz jahrelangen hartnäckigen Anklopfens die deutsche Sprache ihre Tore keinem Versuch eines geschlechtersensibilisierenden Eingriffs dauerhaft geöffnet hat. „Aha, und nur weil es immer so war, muss es deshalb immer so bleiben?“ Nein, natürlich nicht. Aber es kann sich nur von alleine ändern. Diejenigen, die das nicht auf sich beruhen lassen und dagegen mit sprachlich-formalen Konzepten angehen möchten, können, dürfen, sollen und werden es natürlich weiter tun. Sie sollten sich dabei aber dessen bewusst sein, dass ihre Texte nicht immer zu hundert Prozent das erzählen werden, was sie erzählen wollen, weil das, was sich erzählt, nun einmal von der Gruppe der Rezipienten abhängt.
13. Mir ist klar, dass das eigentlich nichts mit dem Rest zu tun hat, aber meine Freunde nerve ich schon seit Monaten mit dieser Überlegung, und hier schaffe ich ihr nun Platz: Die Kommission zur zeitgemäßen Abänderung der Bundeshymne hat eine große Chance verpasst. Natürlich geht es heute nicht mehr an, dass in einem so identitätsstiftenden Text nur von Söhnen und Brüderchören die Rede ist (denn im Gegensatz etwa zu dem Wort Lehrer enthalten „Sohn“ und „Bruder“ im Deutschen eindeutig geschlechtsbezogene Informationen). Aber dieses Lied ist trotzdem ein poetischer Text und keine mathematische Formel, in der man einfach Variablen ändern kann, damit sie wieder passt. Und was passiert, wenn man willkürlich herumfuhrwerkt? Die Bevölkerung ist gespalten, patriotische Schlagersänger streiken angesichts des neuen Textes. Das kann ja nicht gewollt sein. Wir hätten es ähnlich machen müssen wie die Schweiz und einen gänzlich neuen und zeitgemäßen Text ausschreiben, über den dann alle abstimmen. Oder eben am Tag nach dem Song-Contest-Sieg in Kopenhagen das Momentum der gemeinsamen Euphorie der Patriotischen und der Weltoffenen ausnutzen und Conchita Wurst mit der Erstellung einer neuen Hymne beauftragen.
Die Kümmerinnen in: Leuchtkraftformel
von Katharina Tiwald
22. September bis 4. Oktober, 20 Uhr
Theater Drachengasse, 1., Fleischmarkt 22
Nachtrag: Das Stück
Wie erwartet verging die kurzweilige Premiere „Die Kümmerinnen in: Leuchtkraftformel“ ohne ein einziges Binnen-I, nur ein paar sprachliche man/frau-Jonglagen hat sich Katharina Tiwald erlaubt, die den musikalischen Fluss ihrer „found footage opera“ aber nur perfektionieren. Dieses Stück will tatsächlich nicht mehr sein als ein lustvolles Sprachspiel, das sich an Floskeln und Un-Sätzen aufhängt, wie sie über Frauen oft unreflektiert geäußert werden, durchaus auch – vor allem im Mittelteil, der eine hysterische Redaktionssitzung einer Frauenzeitschrift abbildet – von Frauen selbst. Nachdem sich Katharina Tiwald ebenfalls in der Drachengasse am hochdramatischen Well-Made-Play versucht hat („Stalins Heiliger“), war die launige, ganz bewusst an der Oberfläche bleibende Sprachspielerei eine positiv überraschende Abwechslung.
Potenziert wird der Spaß durch die hervorragend organisierten Schauspielerinnen. Drei Kümmerinnen und eine Praktikantin mit grandios suchendem Blick stehen ganz in Weiß auf der Bühne und strudeln sich immer tiefer in den Sumpf des femininen Um-Kopf-und-Kragen-Redens hinein. Julia Nina Kneussel hat inszeniert und choreografiert und offensichtlich Wert darauf gelegt, dass Tempo und Rhythmus passen. Anna Maria Eder, Katharina von Harsdorf, Constanze Passin und Lisa Schrammel heißen die vier Sprechoperndiven, die den Abend auch dann erfreulich enden lassen, wenn der Redaktionssitzungssatz gefallen ist, der für Kritiker ein gefundenes Fressen darstellen müsste: „Liebe Damen, uns fehlt noch ein Thema.“