Die Regisseurin Marie Schleef stellt die Geduld ihres Publikums auf die Probe. In Wien inszeniert sie nun den Roman einer Nobelpreisträgerin
Als der Literaturnobelpreis 2024 Han Kang zugesprochen wurde, dürften an der Burg die Korken geknallt haben. Das bekannteste Werk der Südkoreanerin, „Die Vegetarierin“, stand bereits auf dem Plan für die laufende Saison. Vorgeschlagen hatte es dem Direktor Stefan Bachmann Jahre zuvor eine der aufregendsten jungen Regisseurinnen der Gegenwart, Marie Schleef. Der konzentrierte, formstrenge Stil der 35-jährigen Wahlberlinerin ist für Kangs bildstarke Prosa wie geschaffen.
Schleef setzt auf audiovisuelle Reize, Sprache reduziert sie auf ein Minimum. Außerdem hat sie eine Regel: Sie inszeniert nur Texte von Frauen. Für das Falter-Gespräch hat sie das Café Goldegg in der Wieden wegen der weiblichen Chefin gewählt (und wegen der Esterházy-Schnitte). Den männlichen Interviewer begrüßt sie dennoch herzlich – mit einer Umarmung, ohne ihm zuvor begegnet zu sein.
In „Die Vegetarierin“ irritiert eine Frau ihre Familie mit Fleischverweigerung. Später mutiert sie zur Pflanze. „Ich suchte nach einer Erzählung, in der eine Frau eine Metamorphose durchmacht“, berichtet Schleef. Auf den Roman stieß sie in einem Artikel über koreanische Literatur. In der Wartezeit, bis Kang die Aufführungsrechte freigab, adaptierte Schleef eine Geschichte, in der die Protagonistin zum Pilz wird, und einen weiteren Korea-Stoff, „Kim Jiyoung, geboren 1982“. Bei dieser Kölner Arbeit lernte sie die deutsch-koreanische Schauspielerin Kotti Yun kennen, die nun auch in Wien die Titelrolle innehat.
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