Mit René Pollesch stirbt ein erneuerer des Theaters, der Lust an Theorie mit politisch aufgeladener Popästhetik verband. NACHRUF: MATTHIAS DUSINI UND MARTIN PESL
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Nur ein Bruchteil des Geschriebenen verblieb am Ende in der Aufführung. Oft wurde im letzten Moment noch eine Viertelstunde gekürzt, noch öfter schrieb Pollesch am letzten Probentag noch ausufernde Monologe für seine Stars wie Birgit Minichmayr, Kathrin Angerer und Fabian Hinrichs. Dass der unmöglich so schnell zu merkende Text eingesagt werden musste, war kein Geheimnis – es gilt längst als signifikantes Pollesch-Markenzeichen. Egal, wo die Schauspielerinnen und Schauspieler auf der Bühne hingehen, legendäre Souffleusen wie Tina Pfurr (in Berlin) oder Sibylle Fuchs (in Wien) eilen ihnen mit dem Textbuch hinterher.
Lange bevor Machtverhältnisse im Theater aufgrund der #metoo-Debatte breit diskutiert wurden, pflegte Pollesch eine kollektive Arbeitsweise in seinen Produktionen. Nie zwang er Mitwirkende, einen Text zu sprechen, wenn ihnen das nicht zusagte. Das Repräsentationstheater, in dem ein Schauspieler in eine Rolle schlüpft, war ihm zutiefst suspekt. Das machte Pollesch auch zum Pionier in Sachen Geschlechtergerechtigkeit: In „Hallo Hotel!“, seiner ersten Arbeit am Burgtheater 2004 (aus rechtlichen Gründen durfte sie nicht wie die Hans-Moser-Serie „Hallo – Hotel Sacher ... Portier!“ heißen), standen ausschließlich Schauspielerinnen auf der Bühne. Wenn es schon keine klar zugewiesenen Figuren gebe, argumentierte Pollesch, könne man das ja nutzen, um für ausgleichende Gerechtigkeit zu sorgen.
Ähnlich konsequent hielt Pollesch gegen den Trend von Autofiktion und biografischer Performance sein eigenes Leben und das der Spieler von der Bühne fern. Auch wenn ein Stück „Die Gewehre der Frau Kathrin Angerer“ hieß, konnte man sicher sein, darin nichts über die mitwirkenden Volksbühnen-Schauspielerin zu erfahren. Obwohl er aus seiner Homosexualität kein Geheimnis machte, interessierte es ihn nicht, im Theater davon zu erzählen oder in Interviews etwas darüber gedruckt zu sehen.
Solche Eckpunkte der Regiearbeit machten Pollesch zu einem verlässlichen Kollegen, zu dem auch große Stars immer wieder zurückkehrten. Freilich erhielten auch seine Produktionen dadurch mit der Zeit unweigerlich etwas Gleichförmiges, was das Publikum ihm entweder generös verzieh oder kultisch verehrte. „Pollesch wäre das nicht passiert“ lautet der Titel eines Lehrstücks der Autorin Anah Filou.
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Der ganze Text im Falter 9/24