Auch Rieke Süßkow inszeniert Eugene O’Neills „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ in einer entschiedenen Lesart: wort-, aber nicht sprachlos in einer Instrumentalversion am Staatsschauspiel Nürnberg
Vor etlichen Jahren gab es am Burgtheater einmal eine Inszenierung von Eugene O’Neills „Eines langen Tages Reise in die Nacht“. Andrea Breth hatte Regie geführt, Schauspielkapazunder wie August Diehl und Sven-Eric Bechtolf wateten durch eine seichte Wattmeereslandschaft. Vier Stunden zog sich wortreich das Leid der Familie Tyrone, und der Autor dieser Zeilen überschrieb seine damalige Kritik mit dem Spruch „Alles schon gesagt, aber noch nicht von allen“.
Zu einem ähnlichen Schluss dürfte die Regisseurin Rieke Süßkow gekommen sein, als sie den Text des US-amerikanischen Dramatikers (1888–1953) für ihre zweite Inszenierung am Schauspiel Nürnberg vorgelegt bekam. Nun kennt man das ja vielleicht von intensiven Streits mit den Lieben: Alle meinen es gut, man versucht, komplexe Gefühle auszudrücken und sich verständlich zu machen, die Nacht nimmt kein Ende, obwohl allen Beteiligten dämmert, dass es am besten wäre, jetzt nichts mehr zu sagen und schlafen zu gehen. Da nutzt es auch nichts, dass die Psychoanalyse uns schon seit über hundert Jahren vieles über uns selbst bewusst macht.
„Long Day’s Journey Into Night“, ein Familiendrama für vier Personen (eigentlich fünf, nur wird das Hausmädchen meist gestrichen – Andrea Breth bildete auch hier die Ausnahme), spiegelt das Schicksal des US-amerikanischen Autors selbst. 24-jährig lehnte sich O’Neill gegen seinen autoritären Vater auf, ebenso tut dies im Stück der jüngere Sohn Edmund, und auch das Jahr 1912 ist gleich. Als O’Neill das sehr persönliche Werk niedergeschrieben hatte, verfügte er, es möge erst 25 Jahre nach seinem Tod veröffentlicht werden. Seine Witwe genehmigte die Uraufführung dann aber bereits 1956. Sie traf einen Nerv: „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ ist bis heute der meistgespielte O’Neill. Gerade in Europa kehrt er in Wellen immer wieder und inspiriert ausgeprägte Regiehandschriften.
Besonders radikal ist jene von Rieke Süßkow – selbst für ihre eigenen Verhältnisse. Süßkows Nürnberg-Debüt, das Werner Schwabs Fäkaliendrama „ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM“ ins Milieu der Schießbudenfiguren verlagerte, hatte die einzigartige Sprache des Grazer Autors zum Glänzen gebracht und dem Haus seine erste Einladung zum Theatertreffen beschert. Im „Theater heute“-Jahrbuch 2024 äußerte die Regisseurin dann ihre Verärgerung darüber, dass die Theater zu Textmuseen verkommen.
Weiterlesen in der Theater heute 1/25