Wissenschaft und Melancholie: Dass das unweigerlich zusammengeht, beschrieb Paolo Giordano schon 2008 in seinem zum Bestseller gewordenen Debütroman „Die Einsamkeit der Primzahlen“. Damals berührte die Geschichte zweier Außenseiterfiguren, Solitäre in ihrem jeweiligen Gebiet. 15 Jahre später gibt es schon etliche Begriffe für die Auswüchse der Kombination von Daten und Depression: prätraumatische Belastungsstörung, Morbique, Solastalgia.
In einen ähnlichen Gemütszustand rutscht der Ich-Erzähler in Giordanos neuesten Roman „Tasmanien“ – wie der Autor ist er Naturwissenschaftler, aber auch Schriftsteller, und heißt Paolo G. –, als seine Frau den gemeinsamen Versuch, ein Kind zu bekommen, für beendet erklärt. Lorenza hat bereits aus einer früheren Beziehung einen Sohn, der Paolo erst spät als Ersatzvater akzeptiert.
Die unaufgearbeitete Scham infolge einer sexuellen Begegnung mit einem anderen Paar im Urlaub führt zwar nicht zur Trennung, aber zur starken Entfremdung zwischen den beiden. Paolo bereist die Welt, vermeintlich zur Recherche für ein Buch über die Atombombe. Die Menschen, denen er begegnet, haben auf komplexe Weise mit den Katastrophen der Gegenwart zu tun. Besonders prägnant der Wolkenforscher Novelli, der visionär die Erbarmungslosigkeit des Klimawandels benennt – und für den Notfall Tasmanien als erträglichsten Rückzugsort empfiehlt –, soziale Entwicklungen aber verschläft: Mit einem trotzigen Vortrag über die mangelnde „Fähigkeit von Frauen“ in der Wissenschaft manövriert sich Novelli ins Aus.