Von unethischen Geschäftspraktiken und dem politischen Kampf für mehr Gerechtigkeit handelt der 20er-Jahre-Roman von Upton Sinclair. Sascha Hawemann und Anne-Kathrin Schulz aktualisieren diesen Stoff zu einem kapitalismuskritischen Klimakrisen-Abgesang. Noch Theater oder schon Artivismus?
28. Januar 2023. "Öl!" – nein, nicht "Das Musical“. Das Rufzeichen gehört zum Buchtitel. In Upton Sinclairs 1926 erschienenem Epos mit realen Vorbildern erzählt der Autor, Investigativjournalist und "Muckraker" die damals frische US-Historie aus der Sicht eines jungen Mannes, dessen Vater durch den Erdölboom reich wurde. Der Schlüsselroman inspirierte erst Paul Thomas Anderson zu seinem Oscar-gekrönten Film "There Will Be Blood" (2007), dann Sascha Hawemann und Anne-Kathrin Schulz zu ihrer Bühnenfassung, die nun im Wiener Volkstheater zur Uraufführung kam.
Erdöl als Anfang vom Ende
Während der Film nicht einmal so tut, als hielte er sich an den Roman, haben Hawemann und Schulz diesen eindeutig gelesen. Dennoch nutzen sie ihn in erster Linie für die darin enthaltene prophetische Vision: dass nämlich Erdöl den Anfang vom Ende markiere. Bezog sich das damals vor allem auf die Ausbeutung der Arbeiterschaft, tragen mittlerweile auch das Artensterben, die Erderhitzung und mögliche Krebserkrankungen durch Raffinerien zum Untergang bei.
Diese Botschaft hat in der Inszenierung Vorrang. Noch bevor die erste Figur der Handlung auftritt, erscheint das Videobild von Samouil Stoyanov in der ersten der kuriosen Rollen, die er hier seinem Repertoire hinzufügt: Live gefilmt im Inneren einer gelb auf die Bühne ragenden Pipeline beklagt er als Wal die seines Tranes wegen erlittenen Harpunenstiche. Später wird Stoyanov auch als Kanzler Dollfuß, OPEC-Terrorist Carlos und "unerschlossenes Ölfeld", in einem Animationsfilm gar als Kohlenstoff- und Wasserstoffatom mit seinem eigenwilligen Stil aus trockenem Humor und austriakischer Monophthongierung ("mein Bauch" = "män Båch") amüsieren.
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