Elektrobeats, Ronald Reagan und Aids. Tony Kushners "Engel in Amerika" ist ein Klassiker über schwules Leben in den 1980ern. Am Tiroler Landestheater Insbruck bringt Felix Hafner das Drama auf die Bühne. Und zeigt Menschen, die wie Käfer in einer Schachtel krauchen.
27. März 2022. Während mit "Das Vermächtnis" ein brandneues zweiteiliges schwules US-Drama in Deutschland Furore macht, bleibt man in Österreich vorerst beim alten: "Engel in Amerika" vom 1956 geborenen New Yorker Dramatiker Tony Kushner war in diesem speziellen Teilgenre bisher einsame Spitze, 1993 brachte es Kushner den Pulitzer-Preis ein. Nicht zuletzt wegen der Parallelen zwischen HIV- und Corona-Pandemie setzte das Tiroler Landestheater den ersten der beiden Teile auf den Spielplan. Titel: "Die Jahrtausendwende naht" (engl. "Millennium Approaches").
Dabei lässt das Publikum in Innsbruck weniger die ausführliche Erklärung eines Arztes aufhorchen, wie das Immunschwächevirus funktioniert, als ein Dialog an der Rampe zwischen Florian Granzner als Louis, eine der Hauptfiguren, und Simon Olubowale in der Rolle des schwarzen Krankenpflegers und Drag Artists Belize. Die beiden führen ein Streitgespräch über Demokratie, Freiheit, Bürgerrechte und das Rassismus-Problem, das Amerika angeblich nicht hat. Es wirkt erschreckend heutig – und ist es wohl auch zum Teil: Begriffe wie "Whitesplaining" gab es im Jahr 1986, in dem die Passage angesiedelt ist, noch nicht. Olubowale lässt sie genüsslich in seinen erregten Konter einfließen.
Blick auf die späten Reagan-Jahre
Abgesehen davon gibt es drei lupenreine Geschichtsstunden über die auslaufenden Reagan-Jahre zu erleben, aus der Sicht der von der Seuche geplagten Schwulenszene, aber auch durch die religiöse Brille jüdischer und mormonischer Amerikaner:innen. Ganz TV-Serie (die es natürlich auch schon gab), wird wortreich zwischen drei Handlungssträngen einerseits, Halluzinationen der Figuren andererseits hin- und hergeschaltet. Den aidskranken Prior Walter suchen Visionen heim, sein Partner Louis verlässt ihn und beginnt eine Affäre mit dem Mormonen Joe, der schweren Herzens seine valiumsüchtige Frau Harper sitzenlässt. Joe arbeitet für Roy Cohn, einen skrupellosen Anwalt, der anfangs ebenfalls eine Aids-Diagnose erhält.