Irmgard Keun in der Höhle des Löwen: In drei Jahren Nationalsozialismus in Deutschland lernte Irmgard Keun, was man wie sagt. Ihr Exilroman „Nach Mitternacht“ gibt Zeugnis ihrer Schauspielkunst.
Wenn schon eine Bestsellerautorin nicht sagen darf, was sie denkt, dann – ja, dann ist das einfach zum Heulen. Inbegriff bitterer Ironie ist, wenn dieses Heulen einen dann sogar vor Richtern und Zensoren rettet.
Mit ihren ersten Romanen „Gilgi, eine von uns“ und „Das kunstseidene Mädchen“ war die junge Autorin Irmgard Keun Anfang der Dreißigerjahre schnell sehr erfolgreich geworden. In „Nach Mitternacht“, erschienen 1937 und nun mit einem Nachwort von Heinrich Detering neu aufgelegt, lässt Keun ihre Ich-Erzählerin Sanna in einer Szene in Tränen ausbrechen. Deren Tant Adelheid (vom Verfasser dieser Zeilen in der Buchkultur 178 bereits als veritable Schurkin gewürdigt) hatte sie denunziert, wegen unvorsichtiger Äußerungen über den Führer: Was ihr am besten an seiner Rede gefallen habe? „Dass er so geschwitzt hat.“ Wie sie da vor dem Schnellrichter sitzt, wird ihr bewusst, wie schön es wäre, in einem Land zu leben, in dem man frei reden kann und nicht bestraft wird, obwohl man nichts getan hat. Prompt legt der Richter dem Mädchen die Tränen als Reue aus und lässt sie gehen.
Drei Jahre lang schaute sich Keun an, was in Hitlers Deutschland vor sich ging, und berichtete ihrem ausgewanderten Freund Arnold Strauss darüber in zensurtauglichen Briefen: „... ich komme von Tag zu Tag mehr dazu, in Hitler den wahren, aufopfernden, idealen Menschen zu verehren.“ Die Schwülstigkeit, von der sie wusste, dass der Adressat sie problemlos entschlüsseln konnte, muss ihr ein gewisses Vergnügen bereitet haben.
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